Florett und Sichel – Die grenzüberschreitende Koproduktion »The Fencer« von Klaus Härö

The Fencer für PM

Der junge Fechter Endel Nelis flüchtet vor den Schergen Stalins in die estländische Provinz. Klaus Härös FFF-geförderte grenzüberschreitende Koproduktion »The Fencer« erzählt vom Widerstand des Herzens und ist dabei von bemerkenswerter Aktualität.

Text: Julian Dörr

Manchmal holt einen die Geschichte im Bruchteil einer Sekunde ein. Später Abend, März 2014 in Haapsalu, eine Stadt in der estländischen Provinz. Regisseur Klaus Härö und sein Team drehen eine wichtige Szene ihres Films „The Fencer“: Ein Großvater verabschiedet sich von seinem Enkel. Die sowjetische Geheimpolizei ist gekommen, um ihn abzuholen. Noch einmal volle Konzentration hatte Härö verlangt, die Szene sei sensibel. Doch während die Kamera läuft, bemerkt der Regisseur, dass beinahe jeder im Team auf sein Mobiltelefon starrt. „Jetzt ist keine Zeit für Facebook“, wettert Härö. „Wir sind nicht auf Facebook“, kommt die Antwort, „wir lesen die Nachrichten. Die Nachrichten, dass russische Truppen die Krim besetzt haben.“

Auch ein Historienfilm ist nicht davor gefeit, dass ihn die politische Realität einholt. „Für unsere estländischen Kollegen war diese Nachricht eine Reise in die Vergangenheit. Hin zu der Szene, die wir gerade drehten“, sagt der finnische Regisseur Klaus Härö nach der Premiere seines Films auf dem Filmfest München. „The Fencer“ spielt im Estland der Nachkriegszeit, das kleine Land im Baltikum ist eine Sowjetrepublik, das Regime von Josef Stalin verbreitet Angst und Misstrauen in der Gesellschaft. Zu dieser Zeit flieht der junge Fechter Endel Nelis (Märt Avandi) vor der sowjetischen Geheimpolizei aus Sankt Petersburg in die estländische Provinz, um an einer Schule in Haapsalu die Stelle des Sportlehrers anzutreten. Dicker Nebel hängt in den Gassen, als Endel zu Beginn des Films am Bahnhof der Stadt ankommt. Was zunächst wie die bedrückende Sackgasse eines weggeworfenen Lebens anmutet, entwickelt sich im Laufe der Erzählung zu einem erfüllenden Neuanfang.

Krieg und Verfolgung haben in den Familien der Schülerinnen und Schüler Spuren hinterlassen. So wird der schwermütige Endel zur Vaterfigur in einer männerlosen Gesellschaft. Und das Fechten, Endels Leidenschaft, wird zum Beziehungskitt und Hoffnungsträger. Nach dem Unterricht fechten die Kinder mit Weidenstöcken, von ihrem neuen Lehrer lernen sie Ausfallschritte und Paraden. Der Schulleiter, ein Vollblut-Kommunist, betrachtet den aristokratischen Sport mit Argwohn. Er möchte seinen proletarischen Nachwuchs lieber mit Hammer und Sichel sehen, statt mit Florett und Degen. Doch Endel und die Kinder finden in der Turnhalle zueinander und zum Leben. Bis ein großes, sowjetisches Fechtturnier in Sankt Petersburg alte Geister auf den Plan ruft.

„Unser Film ist auf traurige Weise sehr nah am Puls der Zeit“, sagt Regisseur Härö in München, „unsere estländischen Freunde wissen, dass ihre Unabhängigkeit nicht selbstverständlich ist.“ Nicht einmal anderthalb Millionen Einwohner zählt das kleine Land im Baltikum, das seit 1991 eine eigenständige Republik ist. Die Erinnerungen an die Fremdbestimmung zur Zeit der Sowjetunion sind noch frisch. Und die Ereignisse im Osten der Ukraine wecken alte Ängste: „Viele Esten sagen, wir seien naiv, wenn wir uns ansehen, wie Putin die Opposition oder die freien Medien behandelt“, sagt Jörg Bundschuh von der Münchner Produktionsfirma Kick Film, der „The Fencer“ zusammen mit einem estländischen und zwei finnischen Kollegen produziert hat. „Mein estländischer Koproduzent Ivo Felt, der selbst noch in der Sowjetarmee gedient hat, durchleidet schlaflose Nächte, wenn er an die Zukunft denkt.“ Dennoch sei das heutige Estland der faszinierendste Staat, den er überhaupt kenne, so Bundschuh. Eine junge und offene Gesellschaft, für die Europa trotz Krisengerede ein großer Traum, eine große Verheißung geblieben ist.

„The Fencer“ selbst ist ein europäisches Projekt. Drei Produktionsfirmen aus drei Ländern waren an dem Film beteiligt: Making Movies aus Finnland, Allfilm aus Estland und eben Kick Film aus Deutschland. Gedreht wurde „The Fencer“ an 39 Tagen im Frühjahr und Sommer 2014 vor Ort in der estländischen Stadt Haapsalu, insgesamt steckten die Macher drei Jahre Arbeit in den Film. In internationalen Produktionen wisse man nie so genau, wie es letztendlich funktionieren wird, erzählt der finnische Regisseur Klaus Härö dem Premierenpublikum in München. Aber schon nach kürzester Zeit habe das Team von „The Fencer“ harmoniert wie ein Sinfonieorchester. Der deutsche Produzent Jörg Bundschuh berichtet von seinen Erfahrungen mit den ausländischen Kollegen: „Da treffen sehr unterschiedliche Mentalitäten aufeinander. Die Finnen sind extrem wortkarg. Die Esten sind sehr viel spontaner und auch emotionaler.“ Er erzählt eine Anekdote vom finnischen Produzentenpaar Kai Nordberg und Kaarle Aho, die schon seit ihrer gemeinsamen Schulzeit zusammenarbeiten. Danach gefragt, wie das denn so ganz ohne Konflikte funktioniere, antworteten sie: „Wahrscheinlich, weil wir nie miteinander reden.“

Der Finne Härö beschreibt sich selbst als stur: „Ich bin aus Finnland, ich bin dickköpfig.“ Sein Produzent Jörg Bundschuh habe ihn nicht ein oder zwei Mal überzeugen müssen, sondern eher an die 25 Mal. Wie eine chinesische Wasserfolter sei das manchmal gewesen, aber am Ende kam die Botschaft an. Härö und Bundschuh finden nur lobende Worte füreinander. Bei der Vorstellung von „The Fencer“ auf dem Filmfest München spricht der Regisseur über die besondere Rolle der Produzenten für seinen Film: „Viele sehen Produzenten nur als die Menschen, die das Geld einsammeln. In diesem Fall ist es anders.“ Jörg Bundschuh und die anderen hätten Härö nicht nur finanziell unterstützt, sondern vor allem auch künstlerisch und moralisch. Bundschuh selbst versteht sich als kreativer Produzent. Während der Arbeit an „The Fencer“ wurde offen miteinander diskutiert – in jeder Entwicklungsstufe des Projekts. Begeistert war der deutsche Produzent vor allem von der Arbeitsweise des Regisseurs. Härö sei ein sehr organisierter, aber kein technikfixierter Filmemacher. Die Schauspieler und ihre Leistungen vor der Kamera stünden bei ihm stets im Mittelpunkt. In dieser Hinsicht sei der 44-Jährige ein altmodischer Regisseur, so Jörg Bundschuh.

Als Klaus Härö in München seinen Film anmoderiert, erzählt er von seinen Einflüssen und Vorbildern, den einsamen Programmkino-Nachmittagen mit Filmklassikern von Akira Kurosawa und dem großen Schwarzseher des europäischen Kinos, Ingmar Bergman. Im Jahr 2003 erhielt Härö den Ingmar-Bergman-Preis, vergeben von der schwedischen Regielegende höchstselbst. Über 60 Preise hat Klaus Härö in seiner Karriere schon gewonnen, seine ersten beiden Spielfilme vertraten Finnland in der Oscar®-Auswahl für den besten ausländischen Film. Auch für „The Fencer“, seinen fünften Langfilm, rechnet man ihm Chancen aus. Im Rahmen des Filmfests gewann der Film schon einmal den Spezialpreis beim Friedenspreis des Deutschen Films.

Auf der Bühne in München will Klaus Härö so gar nicht dem Klischee des wortkargen, finnischen Sonderlings entsprechen. Er tänzelt über die Bühne, gibt das Mikrofon nicht aus der Hand, witzelt mit dem Publikum. Eigentlich hasse er München ja, schlechte Erfahrungen vor ein paar Jahren. Mieses Wetter, Geld geklaut, keine Zuschauer für seinen Film. „Das einzig Gute war, dass ich die wunderschöne Claudia Schiffer kennenlernen durfte.“ Heute hat er seine Einstellung zur der Stadt, in der die Post-Produktion von „The Fencer“ stattfand, geändert. Sogar zu einem beherzten Aufruf lässt er sich hinreißen: „München, du musst deine Bedeutung als Filmstadt zurückgewinnen. Was ist passiert? In den Siebzigern und Achtzigern war jeder hier. Und dann hast du deine Stellung an Berlin verloren. Warum?“ Das Premierenpublikum hat er da schon auf seiner Seite.

Nur eine Person stiehlt Härö an diesem Abend die Schau: Die junge Schauspielerin Liisa Koppel wird nach der Vorstellung für ihre Rolle als Fechtschülerin Marta vom Publikum mit dem größten Applaus gefeiert. „Sie ist eine Ausnahmebegabung, ihre Präsenz auf der Leinwand ist unglaublich“, sagt Jörg Bundschuh. Und auch die älteren Kollegen sind begeistert von Liisa Koppel. Die estländische Schauspieler-Legende Lembit Ulfsak, der beinahe 100 Filme gedreht hat und in „The Fencer“ den deportierten Großvater spielt, bezeichnet die junge Schauspielerin sogar als Genie. Und es ist Martas Gesicht beim finalen Fechtduell, das mehr als alles andere in Erinnerung bleibt. Beim Turnier in Sankt Petersburg werden die jungen Fechter und Fechterinnen aus der Provinz zum ersten Mal mit der elektronischen Trefferanzeige konfrontiert – und der speziellen Ausrüstung, die man dafür benötigt. Wie sich die Außenseiter gegen die großen Genossen und Genossinnen aus der noch größeren Sowjetunion schlagen, ist eine Lektion in Kampfesmut. Und eine beachtliche schauspielerische Leistung der vielen Jungdarsteller. Denn „The Fencer“ lebt neben seiner politischen Aktualität auch von der Glaubhaftigkeit seiner Darsteller. Klaus Härö, selbst Vater von fünf Kindern, beweist hier einmal mehr sein Gespür für die Auswahl von und die Arbeit mit solch jungen Schauspielern.

Im Kern basiert „The Fencer“ auf der wahren Geschichte des Fechters Endel Nelis, die für das Kino dramatisiert wurde. Am Ende steht ein Film, der sehr emotional ist, ohne aber Gefühle auszuschlachten. Jörg Bundschuh erinnert sich daran, wie skeptisch er zu Beginn des Projektes war: Eine Geschichte über einen Fechtlehrer in der estländischen Provinz der Stalin-Ära? Sein erster Eindruck: „So etwas interessiert mich nicht, wer soll denn da ins Kino gehen?“ Das Buch aber habe ihn dann von der ersten Zeile bis zum Schluss fasziniert. „Wie alle großen Filme erzählt `The Fencer` eine simple Geschichte.“

„The Fencer“ ist ein historischer Film, ein politischer Film, aber er ist vor allem ein zutiefst menschlicher Film. Am Ende erzählt er die klassische Geschichte von David gegen Goliath, vom einzelnen Menschen gegen die Maschinerie eines Systems, vom Widerstand des Herzens. „Der Film hat eine Kraft über das rein Historische hinaus“, sagt Produzent Jörg Bundschuh, „ein Freund hat mir nach dem Kinostart in Estland erzählt, er sei in einer regulären Vorstellung des Films gewesen, an deren Ende es vom Publikum Standing Ovations gab. Da wirkt etwas über die direkte Betroffenheit hinaus, vor allem bei einer jüngeren Generation.“ Am 17. Dezember startet „The Fencer“ in den deutschen Kinos. Zu einer Prognose will sich Jörg Bundschuh erst nicht hinreißen lassen, dann sagte er doch: „Dieser Film kann ein breiteres Publikum erreichen, er ist kein elitärer Arthouse-Film. „The Fencer“ hat eine starke humanistische Kraft, die auch über aktuelle politische Situationen hinaus Gültigkeit besitzt.“

 

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