24 h kreativ – Interview mit Reiner Holzemer zu seinem Film „Dries“

Dries van Noten

Es gibt einen Dokumentarfilm über Dries Van Noten. Allein diese Tatsache bringt viele, die den Designer kennen, zum Staunen. Der FFF Bayern hat »Dries« gefördert. Ein Gespräch mit Regisseur und Kameramann Reiner Holzemer.

 Von Olga Havenetidis

Herr Holzemer, wie haben Sie es geschafft, Dries Van Noten vor die Kamera zu bekommen?

Es hat Jahre gedauert, bis er das Vertrauen gehabt hat. Ich habe ihn kennengelernt beim Dreh meines Films über Jürgen Teller 2011. Er hat bei Dries im Garten Dakota Fanning fotografiert. Ich wurde neugierig: damals wusste ich nicht viel über ihn. Ich habe recherchiert und herausgefunden, was er für ein Besonderer ist, also auch welche besondere Rolle er spielt in diesem Metier. Ich habe ihn gefragt, ob er Interesse hätte an dem Film, arte hatte da schon Interesse bekundet, weil sie schon seit Jahren erfolglos an Dries dran waren. Dries ist sehr zurückhaltend und scheu, er hatte schon viele Anfragen, die er alle abgelehnt hatte. Ich habe immer wieder mit viel Zurückhaltung mein Interesse bekundet. Es war wichtig, dass er Vertrauen zu mir aufbaut, am Ende hat er das bekommen.

Das klingt so, als wären Sie jahrelang bescheiden im Hintergrund da gewesen und hätten immer angeklopft. Ist das wirklich alles? Hatten Sie eine Strategie?

Er wollte auch meine Filme sehen, ich habe ihm ein Paket geschickt, und das war natürlich wichtig, welche Filme ich dazu auswähle. Das waren hauptsächlich Künstlerporträts, August Sander zum Beispiel, Herbert List. Ich wollte, dass er meinen Ansatz kennenlernt, der Ansatz eines Autors, der nicht aus der Modewelt kommt, der nicht an den Skandalen oder der Hektik hinter den Kulissen interessiert ist – sondern ihn porträtieren will wie einen Künstler. Ich wollte zeigen, was er macht, wie er das macht und warum er das macht. Ich glaube, dieser Ansatz hat ihm am meisten gefallen.

Gab es einen Moment, in dem er dann „Ja“ gesagt hat?

Eigentlich war es kein wirkliches Ja. Einer seiner Mitarbeiter hatte mir gesagt, am Ende siegt der, der den längsten Atem hat. Es gab zu der Zeit auch noch andere Interessenten, die einen Film „hinter den Kulissen“ machen wollten, das hat aber Dries nie interessiert. 2014 gab es in Paris eine große Ausstellung über die Inspirationsquellen seiner Arbeit, da ist er stärker in die Öffentlichkeit gegangen. Es gab einen Ausstellungskatalog mit Fotos aus dem Interieur seines Hauses, was zuvor absolutes Tabu war. Ich habe ihm gesagt: „Die Ausstellung ist so wichtig in deiner Biographie, es wäre gut, wenn sie filmisch dokumentiert wird. Ich drehe mit dir zwei, drei Tage testweise im Rahmen dieser Ausstellung, dann kannst du sehen, wie du mit mir zurechtkommst, wie ich arbeite.“

Ich habe alleine gedreht, das war auch eine Bedingung, dass er nicht von einem Filmteam vereinnahmt wird, sondern alles diskret abläuft. Er ist ja eine diskrete Person. Dann haben wir diesen Test gemacht, und es ging weiter, ohne dass es ein offizielles „Ja“ gegeben hat. Als wir uns das nächste Mal getroffen haben, ging es schon darum, dass ihm das Kinoformat lieber wäre als ein Film fürs Fernsehen. Die Szenen aus der Ausstellung kommen zwar am Ende jetzt nicht im Film vor, das hat aber andere Gründe, das habe ich entschieden.

Das heißt, Sie waren immer allein am Set? War auch niemand für den Ton da?

Später schon. Den Großteil des Films habe ich alleine gedreht. Der Film hat ja drei Ebenen: Sein Privatleben zuhause, die Arbeit im Atelier und die Präsentation in Paris. Und dann gibt es noch Interviews und Rückblicke. Den gesamten privaten Bereich habe ich komplett alleine gedreht, das war Dries‘ Bedingung. Er hat gemacht, was er sowieso machen wollte, und ich habe gedreht und auch mit ihm und seinem langjährigen Partner zusammen gegessen. Im Atelier, wo mehrere Leute waren, da geht es nicht mit einem Ansteckmikrophon und einem Kameramikrophon, da habe ich gesagt, dass ich jemanden für Ton brauche. Und bei den Shows ist es ja noch extremer, da herrscht ja totales Ton-Chaos. Kamera habe ich immer selber gemacht, bis auf zwei gesetzten Interviews, die wir auch teilweise mit zwei Kameras gedreht haben.

Der Film begleitet Dries Van Noten ein Jahr. Wieso haben Sie gerade dieses Zeitrahmen gewählt?

Ich habe Dries mein Konzept vorgestellt. Einerseits Beobachtung bei der Entstehung einer Kollektion, ein bisschen was Privates, das man sieht, welcher Mensch ist das, welche Biographie hat er, wie hat er sich künstlerisch in seinen Kreationen entwickelt, wo kommt er her? Und Backstage bei den Shows. Darauf hat er gesagt, wenn du wirklich einen Film machen willst, der mich und mein System porträtiert, dann reicht eine Kollektion nicht; du musst mindestens vier Kollektionen begleiten. So haben wir das auch gemacht. Nach drei Kollektionen hatten wir beide das Gefühl, dass es auch schon reicht. Aber dann kam er mit einer absoluten Überraschung daher: Die Männer Winter Kollektionen 2016/17 konnte er auf der Bühne der alten Pariser Oper präsentieren, das hatte er 16 Jahren lang versucht. Diesen besonderen Ort mussten wir natürlich mitnehmen.

Er hat gesagt, wenn du wirklich einen Film machen willst, der mich und mein System porträtiert, dann reicht eine Kollektion nicht; du musst mindestens vier Kollektionen begleiten.

Ihre Fragen sind im Film teilweise zu hören.

Letztlich ist es ein Stilmittel, dass ich die reine Beobachtung unterbreche. Ich mache das öfters, und da ich die Kamera selber führe, reagieren die Leute oft auf mich. Sie sehen mich an, sie fragen mich etwas, oder ich bin erstaunt oder stelle vielleicht mal eine ungeschickte Frage, ich habe das Gefühl, das nimmt dem Ganzen eine kalte Perfektion, das macht es ein bisschen menschlicher. Der Film ist kein nüchternes, analytisches Porträt eines Modedesigners, sondern ein extrem persönliches Porträt geworden, und dazu trägt dieses Stilmittel bei. Es gibt drei, vier Momente, in denen er mich wirklich überrascht. Als er bei ihm zuhause sagt, es gibt eine Parallele zwischen dem Stoff auf dem Stuhl und dem Blumenbouquet, das sei seine Vorstellung von Ästhetik, von Symmetrie in einen Kreationen. Im dem Moment war ich überrascht, und das drücke ich dann auch aus. Die Zuschauer mögen das sehr gerne. Ich will ja kein kritisches Porträt machen, sondern dem Zuschauer einen persönlichen Eindruck gewähren in diese Welt, die ich so intim und persönlich kennenlernen durfte.

Wie war es, als Dries Van Noten den Film zum ersten Mal gesehen hat?

Das war so eine Art Rohschnittabnahme. Für mich war das natürlich sehr aufregend. Wir waren in seinem Atelier in Antwerpen. Die Flamen sind sehr zurückhaltend, sehr still, sehr ernst. Aber im Film gibt es ja ein bisschen was zu Lachen. Und während der Vorführung hat keiner gelacht, er schon gar nicht. Sein Assistent, sein Partner, zwei aus der Geschäftsführung saßen dabei, die haben auch nicht so richtig gelacht. Jeder hat gewartet, wie Dries reagiert.

Als der Film aus war, habe ich gefragt, ob er sich mit dem Film identifizieren kann. Er meinte, es falle ihm schwer, etwas dazu zu sagen, weil er da so stark mit sich konfrontiert ist, mit seinem Abbild. Ihm war gar nicht bewusst, dass er so gesten- und mimikreich spricht. Es hat eine Woche gedauert, bis ich die Reaktionen vom Haus bekommen habe, er war nicht enttäuscht. Er hat es ein bisschen setzen lassen, hat mit den anderen darüber gesprochen, wie die das sehen, und die Resonanz war positiv. Das hat ihm Sicherheit gegeben, und so hat er sich mit dem Film angefreundet. Die Leute aus seinem engen Umfeld sagen über den Film, das sei so authentisch Dries, keiner von ihnen hätte es für möglich gehalten, dass man mit ihm in seiner Zurückhaltung, in seiner Seriosität so einen intimen Film machen kann. Da staunen die Belgier heute noch.

Können Sie jetzt Kleidung von Dries Van Noten erkennen?

Ich würde jetzt nicht jedes Kleidungsstück erkennen. Die Opulenz der Stoffe, die Eigenart der Stoffe, das erkenne ich jetzt schon. An der Entwicklung arbeitet er sehr lange, es sind oft alte Muster, die nochmal verändert und zu Drucken verarbeitet werden.

Der Film soll ja keine Werbung und auch keine kritische Abrechnung sein. Man sieht jetzt keine besonderen Brüche, die zum Beispiel bei den Protagonisten der Reihe „Lebenslinien“ immer vorhanden sind. Hätte Dries van Noten eine Chance, bei den „Lebenslinien“ porträtiert zu werden?

Glaube ich nicht, weil er, was sein Privatleben angeht, zu zurückhaltend ist. Nicht, weil er was versteckt. Für Dries schickt sich das nicht, so ist er auch nicht erzogen worden. Er hat eine strenge Kinderstube gehabt, war ja auch eine Zeitlang in einer Klosterschule. Das ist diese flämische Art, das sind keine Schenkelklopfer, sie gehen nicht mit ihrem Innersten nach außen. Am Anfang habe ich gedacht, man muss auch seine Kindheit mit hineinnehmen. Wir haben ein Interview mit seiner Mutter geplant, aber am Ende hat er gesagt, das stimme für ihn nicht. Seine Biographie als Modedesigner, die beginnt für ihn mit dem Besuch der Akademie in Antwerpen. Da hat sich sein Leben verändert, das war eine neue Welt, die er da kennengelernt hat. Er kommt zwar aus einem Elternhaus, das mit Mode zu tun hatte. Ich konnte das akzeptieren, und man vermisst die Biographie vor der Zeit des Akademiebesuchs nicht. Es fragt auch niemand von den Zuschauern, was eigentlich vor dieser Zeit war.

Das ist diese flämische Art, das sind keine Schenkelklopfer, sie gehen nicht mit ihrem Innersten nach außen.

Dries van Noten sagt ja, es hätte zu seiner Studienzeit gar keine belgische Mode gegeben. Mittlerweile gibt es aber ihn und auch einige andere, die in exklusiven Schaufenstern zu sehen sind. Diese Entwicklung überspringen Sie, die wäre aber doch auch interessant, darüber würde man gerne mehr erfahren.

Das verstehe ich, das ist der Prozess, in dem auch mich seitdem befinde. Ich habe viel gelernt, ich komme ja nicht aus der Mode, sondern bin Dokumentarfilmemacher und porträtiere hier einen Modedesigner. Mir war klar, dass ich sehr nah an diesem Mann bleiben will. Mich interessiert, wie er tickt, wie er denkt, wie er sieht, wie er fühlt. Ein Mensch, der 24 Stunden am Tag kreativ ist. Und auch kein anderer Mensch wird, wenn er sein Atelier verlässt. Wenn er zuhause seine Blumenvasen bestückt und diese Bouquets zusammenstellt, das ist ja genauso eine Kreation, wie eine Kollektion zusammenzustellen.

Reiner Holzemer während der Dreharbeiten

Reiner Holzemer während der Dreharbeiten

 

 

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