Mutiges Fernsehen – Interview mit Ulrike Frick zur Reihe „Neues Deutsches Fernsehen“ beim Filmfest München

Szenenfoto aus "Ich gehöre ihm"

Das Filmfest München zeigt vom 22. Juni bis zum 1. Juli 2017 die besten neuen TV-Produktionen aus Deutschland. Wir haben mit Programmerin Dr. Ulrike Frick über die Abkehr vom Hochglanzfernsehen, Neuentdeckungen im Programm und die Zukunft des Fernsehens gesprochen. 

Du hast für deine Reihe 20 Fernsehfilme ausgewählt, die als die interessantesten und spannendsten Produktionen des neuen Fernsehjahres bezeichnet werden können.

Wir zeigen die besten TV-Produktionen, die bis zum Filmfest München fertig geworden sind. Es gibt eine Menge an Produktionen, bei denen ich Interesse bekundet habe, die aber aus verschiedenen Gründen nicht eingereicht haben. Aber das Filmfest München hat mit der TV-Reihe mittlerweile eine gute Strahlkraft entwickelt, so dass die Produzenten gerne ihre Filme hier zeigen wollen. Noch glücklicher wäre ich, wenn ich zusätzlich jedes Jahr fünf Filme mehr zeigen könnte.

Das Filmfest München hat mit der TV-Reihe mittlerweile eine gute Strahlkraft entwickelt.

Zeichnen sich bei den Fernsehfilmen in diesem Jahr aktuelle Trends ab, die sich von den Vorjahren unterscheiden?  

Literaturadaptionen und Krimis funktionieren nach wie vor gut und garantieren eine gewisse Einschaltquote. Abgesehen davon ist eines aber neu und auffällig in diesem Jahr: Es findet eine Abkehr von einem Hochglanzfernsehen statt, das bisher sehr häufig im TV-Programm und in der Reihe vertreten war. Mich störten in den letzten Jahren immer die Filme im Fernsehen, in denen Familien in ihren erlesenen Altbauwohnungen mit Designermöbeln zu sehen waren. Da wusste man genau, dass die Optik zu viel diktiert und die Geschichte maximal gleichwertig mit dem Aussehen des Films ist. Das ist deutlich zurückgetreten für einen realistischeren, naturalistischeren Umgang mit dem Stoff.

Diese Entwicklung setzt sich auch bis in die Erzählstruktur durch. Die Autoren und Regisseure haben bewusst etwas anderes versucht, um sich von dieser ästhetischen Komponente, die Fernsehen in den letzten Jahren stark gekennzeichnet hat, abzusetzen.

Viele Regisseure in der Reihe hatten bereits in den letzten Jahren Beiträge im Programm. Gab es in diesem Jahr auch Neuentdeckungen unter den Filmemachern, von deren Arbeiten du überrascht warst?

Der Film Zuckersand war eine Entdeckung. Dirk Kummer ist dabei zugleich Regisseur und Drehbuchautor. Es wird deutlich, was für eine Stärke ein Film haben kann, der aus einem Guss ist. Die Kraft, die der Film enthält, lässt sich auch dadurch erklären, dass viel von seiner eigenen Biografie eingeflossen ist.

Eine absolute Entdeckung auf mehreren Ebenen war für mich außerdem der Film Ich gehöre ihm. H&V und der WDR haben mit dieser Produktion großen Mut bewiesen. Der Regisseur Thomas Durchschlag war mir vorher gar nicht präsent, ebenso wenig die Hauptdarstellerin Anna Bachmann – ein ganz junges Mädchen, das vorher noch nie einen Film gedreht hat. Für diese Rollenbesetzung musste der Sender sicherlich ein hohes Risiko aufbringen.

Die Münchner Produktionsfirma H&V ist in diesem Jahr mit erstaunlich vielen Produktionen in deiner Reihe vertreten.

Ich achte bewusst nicht darauf, von welchem Sender oder welcher Produktionsfirma die Filme kommen. Dass nun so viele Filme von H&V dabei sind, war mir gar nicht klar, als ich die Auswahl beschlossen habe. Erst im Nachhinein, als sie sich so gefreut haben (lacht).

Nach dem Erfolg des außergewöhnlichen Tatorts „Im Schmerz geboren“ hat der Hessische Rundfunk erneut einen Tatort im Programm. Ein weiterer Geniestreich?

Ich bin persönlich immer ein Fan des Horrorfilms gewesen. Der Tatort Fürchte dich ist aber eher eine Horrorfilm-Persiflage, als ein reinrassiger Vertreter des Genres. Ich finde es toll, was sich die Redaktion traut und wie sie das Format immer wieder ganz neu ausreizt. Der Tatort-Rahmen spielt dabei keine große Rolle mehr.

Neben den Fernsehfilmen zeigst du auch wieder ausgewählte Serien.

Wir zeigen in der Reihe Neue deutsche Serien alle acht Folgen von Das Verschwinden von Hans-Christian Schmid sowie drei Folgen der neuen Staffel von Schuld von Ferdinand von Schirach. Die Folgen können gut unverbunden angeschaut werden, da die Fälle nichts miteinander zu tun haben. Deshalb kann man immer ein- oder aussteigen. Außerdem zeigen wir noch die erste Folge der zweiten Staffel von Tannbach.

Hattest du aufgrund des zunehmenden Serienbooms viel mehr Auswahl in diesem Jahr?

Bei den Serien muss ich immer schauen, dass sie inhaltlich zum Rest des Programms passen. Ich finde es sehr gut, wenn die Serien-Sektion stärker wird. Das halte ich für die nächsten Jahre für wichtig. Die größere Herausforderung für uns ist, in welcher Form wir die Serien beim Filmfest München präsentieren. „Das Verschwinden“ zeigen wir komplett. Das ist ein gewaltiger Brocken. Umgekehrt war uns immer bewusst, dass die Serie unheimlich  verliert, wenn der Zuschauer nicht weiß, wie es ausgeht. Das kann man aber nicht immer machen. Die anderen Serien teasern wir an, da es mit dem Programm nicht anders vereinbar war.

Mit deiner Auswahl sind die mutigsten Formate im Fernsehjahr bereits abgedeckt. Wird gutes Fernsehen in Deutschland immer ein Nischenprogramm bleiben?

Ich glaube, dass sich Niveau immer wieder neu anpassen kann und vertraue darauf. Inzwischen bin ich auch schon des Öfteren durch das Programm überzeugt worden. Die qualitative Talsohle, die das Fernsehspiel in Deutschland vor einigen Jahren einmal erreicht hatte, ist inzwischen längst durchschritten. Der Serienboom und das neue Erzählen haben sicherlich etwas dazu beigetragen.

Die qualitative Talsohle, die das Fernsehspiel in Deutschland vor einigen Jahren einmal erreicht hatte, ist inzwischen längst durchschritten.

Diese Entwicklung hat auch damit zu tun, dass die Fernseheinzelstücke, die um den Bernd Burgemeister Preis konkurrieren, sich mehr trauen und erzählerisch nicht nur die gut ausgebaute Autobahn nehmen, sondern eben auch das wenig beackerte Feld daneben.

Wie muss sich das Fernsehen in Zukunft verändern, damit es auch die jungen Zielgruppen, die über ihre Smartphones und über VoD Inhalte konsumieren, anspricht?

Der Ansatz, etwas abseitigere, neben der Spur liegende Filme zu produzieren und diesen Inhalten eine Chance zu geben, setzt sich langsam bei den Produktionen und Sendern durch. Es ist nicht schlimm, wenn sie diese Filme erst im Nachtprogramm zeigen, solange diese Produktionen anschließend wenigstens in den Mediatheken verfügbar sind.

Ich glaube, dass die Zeiten des linearen Fernsehens gezählt sind. TV ist nicht mehr das Lagerfeuer der Familien oder der Gesellschaft. Heute sitzt man eben nicht mehr zur selben Zeit vorm selben Sender und schaut sich dieselbe Diskussionsrunde oder Serie an.  Heute wird irgendwann ein Film angesehen, der einen interessiert. Das ist auch nicht weiter dramatisch, nur anders. Hauptsache, die Inhalte sind verfügbar – das sollten sie dann auch möglichst lange sein – weil sich  die interessanten Filme heute eher über Mund-zu-Mund-Propaganda herumsprechen.

Von daher wird die Fernsehreihe beim Filmfest München immer wichtiger. Die Filme in der Reihe sollen sich die Zuschauer dann wenigstens in der Mediathek anschauen, weil sie wissen, das ist ein qualitativ herausragendes Stück.

Wichtig ist auch, dass nicht nur die Quote des Vortages zählt, um einen Erfolg von einem Fernsehspiel zu messen, sondern auch die Mediatheken-Abrufe gemessen werden. Das muss eine Rolle spielen. Wer will denn in unserer heutigen Zeit noch um 20:15 Uhr den Fernseher anwerfen? Alle Familien mit Kindern können das zum Beispiel schon einmal gar nicht machen.

Die Sender müssen dem Zuschauer die Qualität bieten und notfalls unterjubeln. Es wird schon angenommen. Es stimmt einfach nicht, dass die Leute ausschließlich nach den anspruchslosen Inhalten gieren, die den Bodensatz des Unterhaltungsprogramms abbilden.

Die Sender müssen dem Zuschauer die Qualität bieten und notfalls unterjubeln

Trotzdem jammern immer noch viele über das deutsche Fernsehprogramm. Was ist deine Antwort darauf?

Man sollte sich vermutlich einfach nur ein wenig informieren, bevor man einschaltet. Programmüberblicke und die Programmschemata der Sender gibt es ja nicht ohne Grund. Das Fernsehprogramm hat mehr zu bieten als das, was am Sonntag Abend um 20:15 Uhr läuft. Es ist bei allen Sendern wieder zu bemerken, auch bei den privaten, dass für die entsprechenden Zielgruppen gutes, qualitativ hochwertiges Fernsehen gemacht wird. Überall ist etwas versteckt. Das Problem besteht eher darin, diese Auswahl zu finden.

 

Ulrike Frick

Ulrike Frick

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle Filme der Reihe finden Sie hier.

Header-Foto: Filmstill aus „Ich gehöre ihm“ (c) Filmfest München

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert