Zirkus im Theater – 30. DOK.fest München

DOK.fest THE CIRCUS DYNASTY_1

Das DOK.fest München feiert in diesem Jahr 30. Geburtstag und schenkt den Gästen drei zusätzliche Festivaltage. Eine Sonderreihe widmet sich der Finanzwirtschaft, eine weitere Filmen aus China. Die Eröffnung wird glanzvoller denn je – mit einem Zirkusfilm im Deutschen Theater.

Jedes Jahr kommt noch ein Trumpf dazu. Jetzt wieder. Erweckte das DOK.fest München letztes Jahr den Anschein, jetzt aber wirklich aus allen Nähten zu platzen, so wird in diesem Jahr noch eins draufgesetzt: Eröffnung im Deutschen Theater. Mit 1.000 Gästen. Zwei Tage später eine Party zum Jubiläum im Silbersaal des Deutschen Theaters. Drei Tage längeres Festivalprogramm. Reihe mit Dokumentarfilmen aus China – Independent-Filmen wohlgemerkt. Reihe mit Filmen über die Finanzwelt. Die Lieblingsfilme der drei bisherigen Festivalleiter. Planet.tv als neuer Stifter des DOK.deutsch-Preises. Die Petra-Kelly-Stiftung als neuer Partner für die Horizonte-Reihe. Ein neuer Publikumspreis, gestiftet von BR KinoKino. Eine Initiative namens DOK.art-fair, die für gerechte Bezahlung im Kulturbereich kämpft. Ein neues Special namens DOK.network Africa. DOK.music im Open Air Programm. Eine Masterclass zur Beziehung von Musik und Film von Ulrike Haage.

Dazu kommt alles, was es bisher gab, neu aufgelegt. 135 Dokumentarfilme, 80 Regisseurinnen und Regisseure, das DOK.forum mit all seinen Plattformen, Marktplätzen, Fachveranstaltungen. Eine Retrospektive über Avi Mograbi und eine Reihe mit Oscar-prämierten Dokumentarfilmen. Viele Preise, darunter den Hauptpreis, den wieder der BR stiftet.

Eines wird schnell klar bei der Betrachtung des üppigen Programms: Das DOK.fest flieht nicht in die Nostalgie. Sowohl von der Machart als auch von den Inhalten scheinen die ausgewählten Dokumentarfilme so gegenwärtig wie nur möglich zu sein. Sieben Filme bilden den thematischen Schwerpunkt DOK.money. Sie kreisen um die Finanzwirtschaft. Sogar ein Film aus Griechenland befindet sich darunter: Agorá von Yorgos Avgeropoulos, der die Krise von innen betrachtet. Die HFF München-Studentin Amparo Mejías begleitet in A quien commigo va / Wer mit mir läuft zwei Frauen, die nach der geplatzten Immobilienblase in Spanien gegen Banken und Zwangsräumungen kämpfen. Bewusstseinskrisen von Führungskräften widmen sich Julian Wildgruber und Hanna Henigin in From Business to being. In sieben Episoden zeigt Hannes Lang in I want to see the Manager über Erfahrungen von wirtschaftlichem Ab- und Aufstieg. Philipp Enders nimmt den Zuschauer in Mammon – Per Anhalter durch das Geldsystem mit auf eine rasante und unterhaltsame Ratgeber-Tour durch das Finanzwesen. Marcus Vetter und Karin Steinberger porträtieren in The Forecaster / Der Pi-Code den Finanzberater Martin Armstrong, der mit seinen Computermodellen die Wendepunkte der Weltwirtschaft auf frappierend präzise Weise voraussagte. Weltpremiere feiert auf dem DOK.fest
Falcianis Liste und der Bankenskandal von Ben Lewis. Laut Festival ist das der Film schlechthin über Swiss Leaks.

Ein Film über die Liebe wiederum wird das Festival eröffnen: The Circus Dynasty von Anders Riis Hansen. Der dänische Film dokumentiert die Beziehung zwischen Merrylu Casselly und Patrick Berdino – beide stammen sie aus den beiden erfolgreichsten Zirkusfamilien Skandinaviens. Als verliebtes Paar in der Manege verzaubern sie die Zuschauer, als Kinder ihrer Familien träumen sie davon, die Familien zu vereinen. Der Regisseur hat das junge Paar ein Jahr lang mit der Kamera begleitet. Ein Dokumentarfilm über ein Zirkuspaar im Deutschen Theater – schillernder könnte das DOK.fest das diesjährige Festival nicht eröffnen.

Aber es bleibt nicht beim Schillernden. Abgesehen davon, dass The Circus Dynastie auch von den Schattenseiten des Zirkuslebens erzählt, beleuchtet die Sektion DOK.guest die Lebenssituation von Menschen in China. Die fünf Filme der Sektion kreisen thematisch um die Ein-Kind-Politik (Mothers), Infrastrukturprojekte (South to North), Ränder der Gesellschaft (Little People Big Dreams und The Last Moose of Aoluguya) und sämtliche Milieus (The Iron Ministry). Alle diese Filme werden zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein. Sie werden, so wie es einst die klassische Reportage während ihrer Entstehungszeit getan hat, eine Welt offenbaren, die, trotz aller Folgen des globalisierten und vernetzten Lebens, nicht so leicht zugänglich ist. Erst recht nicht aus der Innenperspektive.

Die Retrospektive führt in ein anderes Land: Israel. Der 1955 in Tel Aviv geborene Dokumentarfilmer Avi Mograbi wird fünf seiner Filme dem Festivalpublikum persönlich vorstellen. So sehr sich Mograbi inhaltlich in seinen Filmen auf ein Thema konzentriert – den gewaltsamen Konflikt zwischen Israel und Palästina – so sehr experimentiert er mit der filmischen Erzählweise und findet immer neue Ausdrucksformen.

Festivalleiter Daniel Sponsel zeigt sich insgesamt überrascht, wie er es sagt, vom narrativen Niveau der Dokumentarfilme. Die Dramaturgie unterscheide sich kaum noch von derjenigen der Spielfilme, die Inhalte kämen jedoch roher und direkter auf die Leinwand. Aber in diesem Jubiläumsjahr wird Daniel Sponsel nicht der einzige Kurator sein, zwei weitere Filme haben die ehemaligen Festivalleiter ausgewählt. Drei Leiter hatte das Dokumentarfilmfestival in München seit seiner Entstehung insgesamt, und jeder wird seinen Lieblingsfilm aus dieser Zeit persönlich vorstellen. Diese Sonderprogrammierung soll auch dazu dienen, im jeweils anschließenden Gespräch einen Blick in die Geschichte des Festivals zu werfen. Gudrun Geier, die das Festival von 1985 bis 2001 leitete, präsentiert Balagan von Andres Veiel aus dem Jahr 1993. In diesem geht es um ein Stück des Theaterzentrums Akko in Israel: Ein Schauspieler war zu der damaligen Zeit Palästinenser, eine Schauspielerin war Jüdin. Die Schauspieler entwickelten gemeinsam das Stück „Arbeit macht frei“, das zugleich gefeiert und heftig kritisiert wurde. Herman Barth, Leiter von 2001 bis 2009, zeigt Hans im Glück – Drei Versuche, das Rauchen loszuwerden aus dem Jahr 2003. Der Schweizer Regisseur Peter Liechti versucht in diesem auf dreierlei Weise, sich das Rauchen abzugewöhnen. Daniel Sponsel, Leiter seit 2009, stellt Moon Rider aus dem Jahr 2012 vor. Der dänische Regisseur Daniel Dencik porträtiert darin den Nachwuchsradrennfahrer Rasmus Quaade, der sich auf einsame und harte Weise dem Wunsch nach Erfolg aussetzt.

Elf Filme sind in verschiedenen Reihen des Festivals platziert, die mit FFF-Förderung realisiert worden sind: Die Hälfte der Stadt von Pawel Siczek, Andermatt – Global Village von Leonidas Bieri, La buena vida – Das gute Leben von Jens Schanze (s. Kinostarts S. 23), Die Gewählten von Nancy Brandt, Haindling – und überhaupts  von Toni Schmid, Fassbinder von Annekatrin Hendel, Match Me! – Liebe in modernen Zeiten von Lia Jaspers, Corinnes Geheimnis von Maike Conway, A Global Joy von Bruno Fritzsche, Mission Control Texas von Ralf Bücheler und Was heißt hier Ende? Der Filmkritiker Michael Althen von Dominik Graf. Der FFF wird auch dieses Jahr wieder den FFF Förderpreis Dokumentarfilm verleihen.

Im DOK.forum wird es für die Branche wieder Gelegenheit geben, einander zu begegnen und sich fachlich weiterzubilden, das Gesehene zu verarbeiten. Dazu gehört die Masterclass Musik mit Ulrike Haage und ein Workshop mit Nonny de la Pena, einer amerikanische Journalistin und Dokumentarfilmerin, die auf Einladung des Documentary Campus zu Gast beim DOK.forum ist und von der Welt des „Immersive Journalism“ berichten wird – einer neuen Form nichtfiktionalen Geschichtenerzählens, die es erlaubt, Ereignisse oder Situationen aus den Nachrichten gleichsam unmittelbar zu erleben.

 

 

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