So lange dauert ein Tango, bei dem Mann und Frau ihre Liebe zur Musik teilen und dann auseinandergehen. Der Dokumentarfilm »Ein letzter Tango« über das berühmte und zerstrittene Tangopaar Juan Carlos Copes und María Nieves feierte Weltpremiere in Toronto und läuft nun bei den Internationalen Hofer Filmtagen (20. bis 25. Oktober 2015). Ein Interview mit Regiseur German Kral.
Interview: Olga Havenetidis
Wie haben Sie erfahren, dass Ihr Film nach Toronto eingeladen ist?
German Kral: Wim Wenders hat es mir geschrieben. Als ich seine E-Mail las, habe ich geweint. Denn der Druck, den man bei der Produktion eines Films hat, ist enorm. Und als ich erfuhr, dass wir in Toronto laufen würden, dachte ich mir: Ok, jetzt habe ich meinen Job gemacht.
Und wie war dann die Weltpremiere?
Eine riesige Freude. Die Vorführungen waren immer rappelvoll, und der Film ist beim Publikum sehr gut angekommen. Aber auch von Kritikern und Journalisten ist er positiv besprochen worden, was uns sehr erleichtert hat. Denn das weiß man ja nie im voraus. Darüber hinaus war es für uns alle großartig, weil das erste Festival, auf dem ein Film läuft, von nun an sein Dasein bestimmt. Und den Film in Toronto zeigen zu dürfen, bei einem der wichtigsten Festivals der Welt, war und ist eine große Auszeichnung.
Warum sind die Hofer Filmtage ein idealer Ort für die Deutschland-Premiere?
Ich persönlich freue mich auch riesig, dass wir den Film bei den Hofer Filmtagen zeigen werden. Seitdem ich an der HFF war, hat Heinz Badewitz viele meiner Filme gezeigt und mich immer unterstützt. Seit 20 Jahren besuche ich die Filmtage regelmäßig und habe die schönsten Erinnerungen daran. Das Publikum dort ist wahnsinnig herzlich und filminteressiert. Ich werde die Premiere von meinem letzten Film Der letzte Applaus in Hof nie vergessen, als das Publikum nicht aufhören wollte zu applaudieren … Und noch dazu ist Hof wegen der Fußballspiele sehr bedeutend, die mir ein paar Verletzungen beschert haben.
Auch Ihr Film „Ein letzter Applaus“ erzählte vom Tango. Ist Ein letzter Tango so etwas wie eine Fortsetzung davon?
Jeder Film ist irgendwie eine Fortsetzung des letzten Films, den man gemacht hat. Auch wenn er ganz anders ist oder ein anderes Thema behandelt. Denn die Erfahrungen, die man bei seinem letzten Film macht, werden unmittelbar in den nächsten einfließen. Ob man das will oder nicht. Thematisch und formal sind aber beide Filme sehr unterschiedlich. Denn einerseits ist Ein letzter Tango vor allem eine Liebesgeschichte. Und anderseits, weil mein Kameramann, Jo Heim und ich Ein letzter Tango als Kinofilm von Anfang an konzipiert haben und auch mit der Kinoleinwand im Kopf gedreht haben.
Tanzen Sie selbst auch Tango?
Für mich war immer das schönste am Tango die Texte, die von großartigen Dichtern geschrieben wurden und die eine unglaubliche Poesie und Wahrheit beinhalten. Aber vor einigen Jahren habe ich mit dem Münchner Autor Daniel Speck ein Drehbuch für eine Komödie geschrieben über eine Gruppe von Bayern, die mit dem Tangotanzen beginnen. Als wir das Drehbuch schrieben, habe ich mir gedacht, wenn ich authentisch schreiben will, muss ich auch selbst Tango lernen … Also habe ich meinen Mut zusammengenommen und in München damit angefangen. Das Projekt wurde leider nie realisiert, aber aus dieser Erfahrung und der Entdeckung der Schönheit und der Tiefe des Tangos ist irgendwie Ein letzter Tango geboren.
Sie sind Argentinier aus Buenos Aires, wo der Tango seine Heimat hat. Aber Sie realisieren die Filme mit deutschen Produzenten und auch, wenn auch nicht nur, für das deutsche Publikum. Was kann der Tango dem deutschen Publikum mitteilen?
Achtung! Berlin ist die Stadt in der Welt, in der am meisten Tango getanzt wird nach Buenos Aires. Und in jeder mittelgroßen deutschen Stadt kann man jede Nacht Tango tanzen. Geschweige von München, wo man jede Nacht sogar zwischen mehreren Milongas wählen kann. Also ist der Tango in Deutschland – zum Glück! – schon längst angekommen und extrem präsent. Meiner Meinung nach gibt der Tango den Menschen die Erfahrung einer sinnlichen Begegnung zwischen Mann und Frau, die sonst nur bei Liebespaaren zu finden ist. Aber ohne den komplizierten Teil. Im Tango treffen sich ein Mann und eine Frau, umarmen sich und teilen drei Minuten lang ihre Liebe zur Musik, um danach auseinander zu gehen. Vielleicht kennen sie sich nicht und werden sich auch nie wieder begegnen. Aber in diesen drei Minuten kann eine tiefe Verbindung stattfinden. Und es gibt auch noch einen sehr wichtigen Aspekt im Tango, der durchaus sehr viel mit dem Leben in Deutschland zu tun hat: Im Tango kann man viel improvisieren, es gibt aber ein eisernes Gesetz: Der Mann führt, die Frau folgt. Punkt. Diese klare Rollenverteilung ist sowohl für deutsche Frauen, als auch für deutsche Männer wahnsinnig schwer zu lernen. Aber ich habe beobachtet, dass Frauen und Männer, wenn sie dafür offen sind, sich nach einer Weile in diesen neuen klaren Rollen wohlfühlen. Zumindest beim Tanzen.
Wie haben Sie Wim Wenders als Executive Producer gewonnen?
Als ich Pina sah, dachte ich mir, dass es schön wäre, einen 3D-Film über ältere Tangotänzer aus Buenos Aires zu machen. Ich fing an, das Projekt innerhalb der Documentary Masterschool zu entwickeln. Als es darum ging, wer den Film produzieren könnte, war mein erster Gedanke, Wim Wenders zu fragen, mit dem ich seit meinem Studium an der HFF in Kontakt bin. Ich hatte nämlich das Glück, mit anderen HFF-Studenten einen Film über die Gebrüder Skladanowsky mit Wim Wenders in Berlin zu machen, und Wim Wenders war auch der Executive Producer von meinem Film Musica Cubana gewesen. Also ging ich zu ihm ins Büro nach Berlin mit einem sehr aufwendigen Trailer, den ich in 3D auf eigene Kosten gedreht hatte. Wim schaute sich den Trailer an, gab mir sehr wichtige Tipps und sagte mir, dass er den Film nicht produzieren konnte, denn er war sehr beschäftigt mit Everything Will Be Fine, dass er aber gerne nach den Dreharbeiten seines Films, mir als Executive Producer zur Seite stehen konnte.
Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Eine große Unterstützung. Wim war immer unterwegs, aber immer auch für mich erreichbar. Und es war für mich wieder eine großartige Erfahrung, mit ihm zu arbeiten. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er mir seine Unterstützung ohne zu zögern und auch ohne jemals nach irgendeiner Bezahlung zu fragen, angeboten hat. Denn wir hätten ihn nie aus unserem Budget zahlen können.
Wie haben Sie den Film finanziert?
Der Finanzierungsprozess hat mich fast umgebracht! Das Projekt fing als 3D Film an, wofür Carolin Dassel, meine Associate Producerin und ich Projektentwicklungsförderung vom FFF Bayern bekamen. Aber dann ließ sich 3D nicht finanzieren, denn 3D hatte im TV-Bereich die höchste Zeit schon hinter sich, und wir brauchten unbedingt einen Sender. Ich dachte, wir werden diesen Film nie finanzieren können. Bis Jutta Krug und Lothar Mattner, Redakteure vom WDR, meinen Koproduzenten Dieter Horres und mich nach Köln einluden und sofort zusagten. Ab dann ging alles relativ schnell. Wir bekamen Produktionsförderung vom FFF Bayern, FFA, DFFF und vom INCAA aus Argentinie, dann kamen Nils Dünker (Lailaps Pictures) und Schubert International Film ins Boot. Ich bin außerdem extrem froh, dass der Münchener Verleih Alpenrepublik den Film im Februar 2016 in die deutschen Kinos bringen wird.
Warum funktionieren Ihrer Meinung nach Tanzszenen nicht nur auf der Theaterbühne, sondern auch im Kino?
Tanzszenen funktionieren im Kino nur, wenn sie gut gemacht sind und irgendwie eine Geschichte erzählen, oder wenn sie innerhalb der Erzählung gut eingebettet sind. Für mich ist der schönste Tanzfilm, den ich kenne, Singin‘ in the Rain. Ich liebe diesen Film. Und ich liebe jede Tanzszene in ihm. Aber in ihm sind nicht nur die Choreografien und die Tänzer großartig, sondern auch die Geschichte des Films ist wunderschön und meisterhaft erzählt. Auch Pina ist nicht nur ein Tanzfilm, sondern erzählt eine Liebesgeschichte. Die Liebesgeschichte von den Tänzern und von Wim Wenders zu Pina, und von Pina zum Tanz. Also Tanzszenen im Film, ja gerne … Aber das wichtigste ist immer die Geschichte!
Es ist ja eine der Herausforderungen bei Filmen, die Tanzszenen enthalten, dass Kamera und Schnitt rhythmisch mithalten. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe mit einem großartigen Kinokameramann gearbeitet, Jo Heim, mit dem ich schon vor zwanzig Jahren in Buenos Aires gedreht habe. Und ich hatte noch dazu die genialste Cutterin für Dokumentarfilme, die ich kenne, Ulrike Tortora, mit der ich schon vier Filme gemacht habe. Somit waren die besten Voraussetzungen geschaffen. Nichtsdestotrotz war die Arbeit im Schneideraum extrem schwierig und hat uns wirklich sehr viel Kraft gekostet. Denn die Balance zwischen Geschichte und Tanz zu finden, war nicht gerade einfach. Aber Ulrike und ich fühlten eine große Verpflichtung, den Film nicht loszulassen, bis wir zufrieden waren. Zum Glück haben auch meine Koproduzenten Nils Dünker, Schubert International und Dieter Horres mitgemacht und wir konnten länger schneiden, als es ursprünglich geplant war.
Wie haben die Choreographen und die Musiker zusammengearbeitet?
Die Dreharbeiten der Tanzszenen waren das Schönste der gesamten Produktion. Wir hatten die besten Tangotänzer und Tango-Choreographen aus Buenos Aires engagiert, sie haben anhand des Drehbuchs die Choreographien entworfen. Luis Borda, ein hervorrangender Komponist aus Buenos Aires, der seit vielen Jahren in München lebt, hat unglaubliche Aufnahmen von Tangoklassikern in Buenos Aires eigens für den Film gemacht. Als die die Tänzer, die Choreographien, die Kostüme, die Musik und das Licht von Jo Heim am Set zusammenkamen, war das pure Magie! Nachdem der Film geschnitten war, kam Gerd Baumann dazu und hat auf seiner alten Gretsch-Gitarre von 1966 eine wunderschöne, melancholische und berührende Musik für die dokumentarische Szenen komponiert und aufgenommen. Dass das alles so gut zusammenpasste, ist den Göttern zu verdanken. Diesmal waren sie definitiv auf unserer Seite!
Wie ist es Ihnen gelungen, María Nieves und Juan Carlos Copes für diesen Film zu gewinnen?
Juan Carlos Copes und María Nieves dazu zu kriegen, dass sie auf einer Theaterbühne aufeinander gehen und sich umarmen, war vielleicht das Schwierigste an der gesamten Produktion. Diese Szene drehen zu können, hat drei Jahre Gespräche, unzählige Kaffees mit Copes, mehrere Absagen, viele Kopfschmerzen, viele schlaflose Nächte und einen bösen Anwaltsbrief von Copes und seiner Frau gekostet. Aber ich habe nicht locker gelassen. Am Ende hatten die Götter Mitleid mit mir und haben gütig ihre Hände auf den Film gelegt. Bis Copes’ Ehefrau eines Tages sagte: „Ok“.
Wie haben die beiden auf den fertigen Film reagiert?
María und Juan haben den Film noch nicht gesehen. Wir haben eine Einladung Ende Oktober beim Mar del Plata Film Festival, um die Argentinische Premiere dort zu feiern. Ich hoffe sehr, dass beide kommen. Und dass ich diese Begegnung überlebe!
Weitere FFF-geförderte Filme bei den 49. Hofer Filmtagen 2015
Brot und Oliven
Produktion: Pictures in a Frame in Koproduktion mit BR, HCTS Stavrakos Athen, Macromedia München
Regie: Jordanis Orfanidis, Alexander Jaschik
Diorama
Produktion: Michael Kalb
Regie: Clemens Pichler
Lost and Found
Produktion: Claudia Seibl, Andrea Schmitt
Regie: Claudia Seibl
Weitere Filme bayerischer Filmschaffender sind u. a. Ada von Mirjam Orthen, Eva.S. – Die Nationalistin von Detlef Bothe, Hey Uni von Alexander Riedel, Im Namen der Tiere von Sabine Kückelmann, Meine Reise in die DDR – 25 Jahre später von Wolfgang Ettlich, Zarnitsa von Khaled Kaissar und die BR-Kinokoproduktionen Ein Atem von Christian Zübert und Jagdgesellschaft von Sherry Hormann.
Das gesamte Programm der Hofer Filmtage finden Sie hier.
Ein wundervoller Film – nix wie hin!!!