Heute startet „Der geilste Tag“ im Kino. Die FFF-geförderte Komödie von und mit Florian David Fitz und Matthias Schweighöfer werden Millionen Menschen sehen. Gedreht wurde in Südafrika – an Traumstränden, und auch im Township Khayelitsha bei Kapstadt. Eine Besichtigung des Drehorts mit dem einzigen südafrikanischen Darsteller aus dem Film und seinem Security Man.
Von Olga Havenetidis
Er hat ein Zimmer für sich allein. Ephraim Sonzanza wacht an diesem Freitag frühmorgens auf und macht sich bereit. Um 10 Uhr hat er einen Einsatz, der auf dem Parkplatz der Tankstelle beim Flughafen beginnt. Er soll einen Jungen bewachen. Den 13jährigen Mpho Ranwedzi. In Kapstadt kennt den Jungen fast niemand, in Deutschland werden ihn bald Millionen Menschen sehen. Auf der Kinoleinwand.
Ephraim Sonzanza spricht fast kein Wort. Sporadisch finden seine Worte den Ausgang. Dabei gehört Reden zu seinem Job. Erklären. Zurechtweisen. Vertreiben. Mit Worten. Im Zimmer nebenan, da wohnen seine beiden Cousinen mit zwei Kindern und seiner Mutter. Die Küche teilen sie miteinander, das Badezimmer mit den Nachbarn. Weiße Jeans, weißes T-Shirt trägt Ephraim Sonzanza heute, seine Job-Kleidung. In die rechte Hosentasche steckt er sein Portemonnaie. Mit ein bisschen Geld, Ausweis und seinem Führerschein, dem Wertvollsten seines Lebens.
Er macht sich auf den Weg, verlässt die Hütte in der Vukani Street und geht zur Bushaltestelle, vorbei an Wellblechhütten, Friseurgeschäften, gerupften Hühnern, Wäscheleinen, spielenden Kindern, herumsitzenden Alten. Das Township Khayelitsha, es ist weltberühmt und gottverlassen, überfüllt und verdrängt. Mit dem Bus fährt Ephraim Sonzanza zu Bhizana Holdings. Ein kleines Unternehmen, das sich um Sicherheit kümmert. Als Samuel Maneli die Firma vor neun Jahren gründete, hatte er einen Mitarbeiter. Jetzt sind es 207. Sie kümmern sich um Sicherheit, wenn sie gebraucht und gebucht wird. Samuel Maneli war schon vorher Security Man, mit Bhizana Holdings wollte er selbständig sein und expandieren. Aufgewachsen ist er im selben Township wie Ephraim Sonzanza, in Khayelitsha. Er stellt gerne Männer ein, die dieses Revier von der Pieke auf kennen. Die die Sprache der Townships beherrschen, ihre Seele kennen und die Begierden begreifen.
Heute arbeitet Ephraim Sonzanza mit seinem jungen Kollegen Bongani zusammen. Jedem wird ein Wagen zugeteilt, sie nennen diese Art Wagen bakkies, auf Afrikaans. Groß, weiß und komfortabel, furchteinflößend schwer sehen sie aus, fast wie ein hinten abgeschnittener Leichenwagen. Technisch sind sie mit dem Office verbunden. Werden sie entführt, werden sie getrackt. Die beiden weißen Sicherheitskarossen fahren hintereinander zum Treffpunkt, Tankstelle am Flughafen. Dort warten sie.
Nach einer Weile taucht ein Van auf. Ephraim Sonzanzas Handy klingelt. Die Aufnahmeleiterin, die im Van sitzt. Sie sagt, sie seien jetzt da. Der Van hält am Parkplatz, die beiden bakkies flankieren ihn, vorne fährt Ephraim Sonzanza, hinter dem Van fährt Bongani. Die drei Autos verlassen die Tankstelle und fahren Richtung Settlers Way auf die Landstraße.
Den Jungen auf der Rückbank des Vans haben Ephraim Sonzana und Bongani noch nie gesehen. Sie wissen nur, dass er ein junger Schauspieler ist und für Fotoaufnahmen unterwegs ist in das Township, in dem sein letzter Film gedreht worden ist: nach Khayelitsha. Deshalb ist Ephraim Sonzanza der richtige Mann für diesen Einsatz.
Wer am Cape Town International Airport ankommt und in die Stadt möchte, die zu den schönsten Städten der Erde gehören soll, kann gar nicht anders, als durch Khayelitsha zu fahren. Das weltberühmte, gottverlassene, überfüllte und verdrängte Township bildet das Tor in die andere Welt. Geimpft mit den Eindrücken verbittern 40 Kilometer weiter Richtung Küste die am Tafelberg hängenden Villen.
So weit fahren die drei Autos heute nicht. Ihr Ziel ist eine Durchgangsstraße von Khayelitsha, die M45, der Mew Way. Über eine Strecke von knapp zehn Kilometern trennt sie das Township wie der Corpus Callosum das Großhirn in zwei Hemisphären. Das Produktionsteam will Fotos machen an den Stationen, an denen der deutsche Kinofilm „Der geilste Tag“ von der Produktionsfirma Pantaleon Film und mit Unterstützung der Kapstädter Produktionsfirma Two Oceans Film Productions, gedreht worden ist. In dem hat der Junge mitgespielt. Der Van, der in der Mitte fährt, bestimmt die Richtung und die Stopps.
Die Handlung der Komödie „Der geilste Tag“ beginnt in München, geht weiter in Kenia und zeigt die Fahrt von Kenia nach Kapstadt und endet wieder in München. Gedreht hat die Produktion ausschließlich in München und Südafrika. Nicht in Tansania, Botswana, Simbabwe oder Mozambique. Geschrieben hat das Drehbuch Florian David Fitz, der auch Regie geführt hat und eine der beiden Hauptrollen spielt. Die andere Hauptrolle spielt Matthias Schweighöfer, der auch mitproduziert hat. Zwei der derzeit angesagten deutschen Schauspieler. Sie spielen zwei Todkranke, die aus dem Hospiz ausbrechen, sich illegal viel Geld beschaffen, da sie eh nichts mehr zu befürchten haben und nach Südafrika aufbrechen, um den geilsten Tag ihres Lebens noch zu erleben. In Afrika reisen sie mit einem Camper von Mombasa nach Kapstadt. Zwischendurch hängt sich ein junger Afrikaner an sie und begleitet sie eine Weile. Seine Rolle endet damit, dass er den beiden Deutschen ihren Camper stiehlt und verschwindet. Diese Rolle spielt Mpho Ranwedzi.
Es ist gar nicht so einfach, die Drehorte vom letzten Sommer wiederzufinden. Die Straße hat sich verändert. Rechts liegen Tausende von Fahrradteilen auf der Straße, ein neuer Fahrradladen. Links gab es damals eine pink angemalte Wellblechhütte. Sie ist verschwunden. Die wirklichen Drehorte, an denen das Team ohnehin nur kurz aussteigen und schnell drehen musste, aus Sicherheitsgründen, sind nicht zu finden. Heute wird es wieder so sein. Ephraim Sonzanza und Bongani werden aussteigen. Dann der junge Schauspieler, Mpho Ranwedzi, mit dem Fotografen, der ihn anweisen wird, wo genau er stehen soll, er wird ein bisschen posen, Fotos, dann wieder alle schnell in die Autos und weiter.
Eine halbe Million Menschen lebt in Khayelitsha. Manchmal heißt es auch, es seien 350.000, manchmal 1,5 Millionen. Wie viele es wirklich sind, weiß niemand. Stop. Die drei Autos fahren links ran und halten. Ein Zaun weht im Wind, vor den soll Mpho sich stellen. Ephraim Sonzanza und Bongani steigen aus, dann Mpho und der Fotograf. Es riecht nach Kloake. Menschen sind keine zu sehen. Nur das Klicken der Kamera macht Geräusche. Zum ersten Mal sieht Ephraim Sonzanza den jungen Darsteller. Er wird im Mai 14, geht in Johannesburg zur Schule. Selber wohnt er nicht in einem Township, nur manchmal besucht er dort seine Schulfreunde. Er ist froh, nicht dort zu wohnen. Weil es ruhiger ist, wo er wohnt. Er versteht, dass er in seiner Rolle als Tebego in „Der geilste Tag“ in einem Township leben muss, weil er dort einen armen Jungen spielt. Bekannt wurde Mpho dem südafrikanischen Fernsehpublikum als Tando in der Serie „Mfolozi Street“. Vor zwei Jahren spielte er eine Szene in der US-Produktion „Blended“ („Urlaubsreif“) mit Adam Sandler und Drew Berrymore. Als er den Film sah, kam die große Enttäuschung: Seine Szene war herausgeschnitten worden, er nirgends zu sehen auf der Leinwand.
Das wird hoffentlich jetzt nicht wieder passieren. Seit einer Minute post Mpho schon für den Fotografen. Nach und nach tauchen die Bewohner Khayelitshas auf. Von links kommen zwei junge Männer, eine Frau überquert die Straße. Ephraim Sonzanza und Bongani blicken sich um, betrachten die nahenden Leute und schauen ihnen in die Augen. Nach drei Minuten sitzen alle wieder in den Autos. Die Fahrt geht weiter.
Abschirmen, das ist es, was die Männer der Bhizana Holding bei Dreharbeiten und Fotoaufnahmen machen. Niemand glaubt, dass jemand schießt oder stiehlt, nur ein Mal hat Ephraim Sonzanza es erlebt, dass sich ein Fremder aufs Set begeben und sich einem Laptop genähert hat. Es geht darum, die Ruhe und Konzentration am Set zu bewahren. Einerseits, um die wertvollen technischen Geräte und Datenspeicher angemessen zu schützen. Andererseits, um neugierige Zuschauer fernzuhalten. Bild und Ton müssen bei Spielfilmaufnahmen frei sein von Passanten. Ephraim Sonzanza muss den Leuten erklären, das sind Filmaufnahmen, bitte geht nicht in die Nähe der Kamera und auch nicht hier vorbei. Bitte seid absolut still. Solchen Schutz brauchen Filmaufnahmen überall auf der Welt, im südafrikanischen Township kommt das normale Sicherheitsdenken noch hinzu. Undenkbar, ohne Auto und Fahrer, als Weißer dort einfach zu flanieren. So wird es vermittelt, in Reiseführern. Der einzige Weiße, der in Khayelitsha lebt, hat auch gleich ein Buch darüber geschrieben. „Khayelitsha: Umlungu in a Township“ hat Steve Otter seinen Bericht genannt. Mehr als 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid und dem Einsatz der Wahrheitskommission sind die Strukturen noch erkennbar. Heute leben in Khayelitsha weit mehr Menschen als nach der Gründung 1985.
Strukturen, die für Filme verwendet werden. Gerade Khayelitsha diente schon mehrmals als Kulisse. Vor elf Jahren flimmerten die engen Gässchen des Townships in der Opern-Verfilmung „U-Carmen eKhayelitsha“ auf der Leinwand des Berlinale-Palasts, die Jury zeichnete sie mit dem Goldenen Bären aus. Auf einmal war das Township weltberühmt.
Diesen Film kennt Ephraim Sonzanza nicht, und auch sonst hat er noch nie seinen Heimatort in einem Film wiedererkannt. Dreharbeiten hat er schon einige Male erlebt, nicht nur während seines Jobs, sondern auch so. Aber im Kino war er nur ein einziges Mal in seinem Leben, vor zwanzig Jahren. Jacky Chan. Den Fernseher von Telefunken hat er vor drei Jahren gekauft, er steht jetzt in der kleinen Küche und zeigt auf 52 Zentimetern Diagonale das Programm. Am liebsten sieht Ephraim Sonzanza darin Actionfilme.
In einem Actionfilm möchte Mpho unbedingt einmal den good guy spielen. Jetzt spielt er einen zwar lieben und lustigen, aber auch abgebrühten guy. Er freut sich sehr darauf, den Film zu sehen, bei der Premiere in München. Das erste Mal wird er seinen Kontinent verlassen.
Auch Ephraim Sonzanza würde den Film gerne sehen. Ob er das schafft, weiß er nicht. Zur Premiere könnte er niemals fahren, er war noch nie verreist. Dabei würde er das so gerne. I would love to travel and see the world. Als erstes würde er nach Paris fahren. Das sei ein wunderschönes Land, wo die Menschen freundlich seien. Er kennt niemanden, der je dort war.
Nach drei Kilometern fahren die drei Autos abermals links ran. Wieder steigen alle aus. Mpho stellt sich vor eine pastelltürkisfarbene Wellblechhütte, in der Getränke verkauft werden. Der Fotograf macht Aufnahmen. Wieder halten die beiden Security Men Ausschau und mustern die Passanten und Leute, die sich etwas zu trinken kaufen, die selber Mpho und den Fotografen mustern. Während der Dreharbeiten hat es nie auch nur eine einzige brenzlige Situation in Kapstadt gegeben, weder im noch außerhalb des Township. Das Gefährlichste war der Dreh mit der Löwin. Jamilla lebt im Lion Park in der Provinz Gauteng, für den Dreh reiste sie auf eine Farm nach Drakensberg in der Provinz Kwazulu Natal. Ihre Rolle besteht darin, Matthias Schweighöfer anzupinkeln.
Nach weiteren vier Kilometern halten die drei Autos auf einem brachliegenden Stück Land. Die M45 ist hier zu Ende. Alle steigen aus und gehen zu einer Anhöhe, von der aus sie weite Teile von Khayelitsha überblicken. Mpho stellt sich auf, der Fotograf macht Bilder vor der Kulisse. Menschen sind hier keine. Als alle wieder eingestiegen sind, machen sie sich auf den Weg zurück zum Flughafen, wieder durch das Township, dieselbe Strecke zurück. Wieder wirkt sie verändert, als hätte in der Zwischenzeit ein Geschäft neu eröffnet, eine Hütte ihre Farbe verändert, der Geruch sich von Kloake zu Grillfleisch entwickelt. Am anderen Ende der M45 ist der Einsatz von Ephraim Sonzanza und Bongani beendet. Für heute hat er Feierabend. Er weiß jetzt, dass es diesen Film namens „The most beautiful day“ gibt. Als seinen eigenen geilsten Tag bezeichnet er denjenigen, an dem er nach zwei Jahren endlich seinen Führerschein bekommen hatte. Das ist jetzt drei Jahre her. In der Nacht damals hat er den Führerschein unter sein Kopfkissen gelegt. Seitdem trägt er ihn immer bei sich. Auch wenn er kein eigenes Auto hat. Aber wenn er sich eines leisten könnte, müsste es ein VW Golf GTI sein. Mit dem würde er es vielleicht bis nach Paris schaffen.
(c) Peter Linden