Warum lacht ihr nicht? Comedy-Guru Steve Kaplan im Interview

Steve Kaplan

Auf Einladung vom Creative Europe Desk München war Script Doctor und Comedy-Guru Steve Kaplan auf dem Filmfest München zu Gast. Während eines zweistündigen Vortrags widmete er sich der „Verborgenen Mechanik von Komödien“. Christopher Büchele und Alexander Schlicker vom Seriencamp, dem Internationalen Festival für Serien und TV Kultur, das im Oktober in zweite Runde geht,  haben ihn im Anschluss daran im Karl Valentin Musäum zu München zum ausführlichen Interview gebeten.

Das war ein interessanter Vortrag eben. Hat sich fast wie ein Stand-Up-Programm angefühlt…

Nun, ich war ein frustrierter und nicht so guter Performer, also ist das die Möglichkeit für mich, endlich die Lorbeeren einzuheimsen, die ich als Künstler nie erhalten habe.

Sie sind gerade durch das Valentin-Musäum hier hoch gekommen und haben uns erzählt, dass er Ihnen bereits zuvor ein Begriff war…?

Ich habe meinen Master in Theatergeschichte gemacht. Und eines der Dinge, die ich da vertieft habe, war das Verhältnis zwischen den populären Künsten wie Vaudeville und Cabaret zum seriösen Theater. Als ich Beckett studiert habe, der von Vaudeville sehr beeinflusst war, kam ich auch zu Brecht, der ebenfalls sehr wichtig für ihn war. Brecht wiederum hat viel mit Karl Valentin zusammengearbeitet. Und wenn man sich Stücke wie die „Dreigroschenoper“ ansieht, erkennt man – neben dem ernsthaften Anliegen – dass das im Prinzip Cabaret- und Sketch-Charakter hat. Deshalb wusste ich natürlich sofort, wer Karl Valentin ist. Darüber hinaus hier auch ein paar Sketche aus den 30ern gesehen zu haben: Das ist klassische Comedy, klassisches Vaudeville- oder Music Hall-Material (…). Aber wer ist der Typ, mit dem zusammen er immer auftritt?

Das ist eine Frau! Liesl Karlstadt!

Das ist eine Frau? Ohne die Sprache zu verstehen: Das ist „Dumm und Dümmer“. Er ist der Grouch und sie der komplett unschuldige Idiot und beide arbeiten zusammen. Laurel & Hardy! Abbott und Costello! Und das reicht 3000 Jahre zurück bis ins antike griechische Theater.

Steve Kaplan

Das funktioniert also deshalb universell, weil es so archetypisch ist?

Ja! Das funktioniert, weil Dummheit keine Grenzen kennt, keine Sprache und keine Kultur. Stupid is as stupid does! Die Geschichte der Comedy besteht darin, die Wahrheit über Menschen zu sagen. Wir denken über uns selbst gern, wir wären smart, oder normal. Und eines der Dinge, die über die Comedy gern gesagt werden, ist, dass sich die Leute darin abnormal verhalten. Aber schreib das nicht auf! Denn als ich wirklich daran zu arbeiten begann, wurde mir klar, dass „normal“ so ähnlich ist, wie sich für die Kirche herauszuputzen. Wir würden gerne handeln als wären wir normal. Aber die Wahrheit ist, dass wir in unseren „geheimen Leben“ alle abnormal sind. Die Idee, dass Comedy die Übertreibung ist, damit stimme ich nicht überein. Ich finde, dass Comedy die Enthüllung dessen ist, was die Leute wirklich sind, wenn sie keine Maske aufziehen. Das bedeutet – auf das Valentin-Beispiel zurückkommend: Obwohl ich weder die Witze noch die Sprache verstehe, verstehe ich das Verhalten. Deswegen kann ich das anschauen und drüber lachen. Weil mir das Verhalten klar ist, während ich die Wortspiele natürlich verpasse…

Warum also haben die Deutschen einen so schlechten Ruf, wenn es um ihren Humor geht?

Nun (lacht). Dafür gibt es ein paar Gründe. Wir könnten mit dieser ganzen Zeit in den 30er Jahren anfangen, als die Leute ihren Sinn für Humor komplett verloren haben. Aber natürlich ist das zum Teil auch einfach ein Problem der Sprache. (…) Ich bin mir nicht sicher, ob so etwas wie Karl Valentin je übersetzt worden ist. Charlie Chaplin hat weltweit funktioniert, weil das Stummfilme waren, während Valentin bereits mit Ton gearbeitet hat. Seine Filme sind also nicht so gut zu vertreiben gewesen. Tja: Und dann gab es da eben diese „kleinen Zwischenfall“ zwischen den 30er und 40er Jahren. Seither hat die Kultur zwar eigentlich ausreichend Zeit gehabt, sich von dieser „Schuld“ freizumachen – Amerika hatte im Comedybereich nach 9/11 ein ähnliches Trauma zu bewältigen – aber eine Zeitlang hat man geglaubt, keine Comedy mehr machen zu können. Weil das in unserem Fall (USA) uns zugestoßen ist, hat sich das irgendwann gegeben. Ich kann mir vorstellen – und ich weiß gar nicht, ob ich will, dass ihr das in diesen Artikel bringt – dass es für die Deutschen noch sehr viel schwerer ist, sogar nach über 70 Jahren, diese Last loszuwerden. Sich über sich selbst lustig zu machen. Alles muss ernst sein. Schuld ist ernst. Vergebung ist ernst. Ich weiß es nicht. Sagt ihr es mir. Warum hat Deutschland diesen Ruf?

Wir haben sehr lustige Leute. Und eine Traditionslinie, die sich von Karl Valentin – vor allem regional – bis heute fortsetzt. Aber klar: Sobald diese vor allem verbalisiert, lässt sie sich nur schwer übersetzen. Aber was – in den meisten Fällen – einfach ziemlich schlecht ist, sind deutsche TV-Sitcoms.

Ehrlich gesagt: Sitcoms sind – mit Ausnahme von England und den USA – überall auf der Welt schlecht! (lacht)

Womit wir beim Punkt wären – und bei dem was wir lernen können: Funktionieren ihre „Lehren“ eigentlich auch in Nicht-Englischsprachigen Territorien? Sind sie universell? Oder ist es für sie schwieriger, den Deutschen beizubringen, wie man lustige Drehbücher schreibt, als ihren englischsprachigen Zeitgenossen?

Deutsche sind lustig. Menschen sind lustig. Es geht darum, das Publikum zu erziehen. Das Publikum muss lernen, dass es okay ist, sich über Dinge lustig zu machen, selbst wenn es sich nicht um Übertreibungen handelt. Wenn ich Euch frage, was das größte Problem bei den meisten lustigsten Filmen ist, was würdet ihr sagen?

Sie sind nicht lustig.

Warum? Versuchen sie zu angestrengt, albern zu sein?

Nein, sie sind voller Klischées. Immer dass gleiche Set-Up, stets die gleichen Witze. Und selbst, wenn etwas Neues probiert wird, landet man bei einem deutschen Farrelly-Film, der nur unter die Gürtellinie zielt, ohne den Punkt zu treffen.

…und die TV Shows sind mainstreamig, folgen stereotypen Charakteren und jeder reagiert übertrieben? Das Problem ist, und darum geht es eigentlich in meiner ganzen Arbeit, dass es ein Missverständnis darüber gibt, was Comedy eigentlich ist. In Comedy geht es nicht darum, lustig zu sein. Comedy und lustig, das sind zwei verschiedene Dinge! Nur, weil Dich etwas zum Lachen bringt, heißt das noch nicht, dass es komödiantisch ist. Nur weil etwas komödiantisch ist, heißt das nicht, dass Du darüber lachen musst. Comedy ist der Blick auf die Welt aus einem etwas schieferen Blickwinkel. Das muss man anerkennen und akzeptieren. Das sind Leute, die gegen unüberwindliche Hindernisse ankämpfen und manchmal sind die unüberwindlichen Hindernisse nur die Vorbereitungen auf ein erstes Date. Für manche ist diese Herausforderung bereits zu groß! Und dabei geben sie nie die Hoffnung auf. In Bezug darauf muss man nicht den niedrigsten gemeinsamen komödiantischen Nenner suchen, Du musst nicht alles zum Slapstick degradieren, um es lustig werden zu lassen. Tatsächlich ist in amerikanischen Komödien eines viel besser geworden: das Verständnis dafür, dass man, wenn man eine wirklich gute Komödie machen will, ernsthaft bleiben muss. Behandle den Stoff ernsthaft, schrecke nicht vor Momenten des Schmerzes oder Momenten des Verlusts zurück. Das ist okay. Das ist Teil des Lebens…

Ingeborg Degener, Steve Kaplan, Ewa Szurogajlo

Ein wenig von dem also, was Judd Apatow der Filmwelt gegeben hat?

Ja, klar. Mit „40 Year Old Virgin“, „This Is 40“ oder „Funny People“, in dem Adam Sandler glaubt, an einer tödlichen Krankheit zu leiden. Einige dieser Filme sind nicht perfekt. „Funny People“ ist ein gutes Beispiel für einen Film, der seinen Mut verliert. Weil er die Situation mit dem sterbenden Adam Sandler etabliert, der sein bisheriges Leben Revue passieren lässt. Und dann folgt – meiner Meinung nach – ein schrecklicher Deus Ex Machina: „Oh, I’m okay now!“ Das hat meiner Meinung nach den ganzen Zweck des Films verraten. Die Leute kriegen in Wirklichkeit eben nicht eine tödliche Diagnose und stellen anschießend fest, dass es doch nicht so schlimm ist. Die Leute müssen doch lernen und verstehen, wie man in so einer Situation damit umgeht. Das ist auch einer der Punkte, zu denen ich im Vortrag nicht mehr gekommen bin: Wie erschafft man eine gute Prämisse für eine Komödie? Was man tut ist: Man denkt sich ein unmögliches oder unwahrscheinliches Szenario aus und überlegt sich, was geschehen würde, wenn das tatsächlich Realität würde. Was würde sich daraus entwickeln – und zwar ohne weitere Lüge, ohne, dass man sich noch etwas ausdenken müsste, um die Story am Laufen zu halten. Wenn man als 14jähriger ins Bett geht und als 30jähriger wieder aufwacht: Das sollte genügen! Da musst Du darüber hinaus nichts mehr erfinden – was sich aus der Situation ergibt, sollte für einen zwei-Stunden-Film ausreichen. Immer wieder am gleichen Tag zu erwachen, auch das sollte für einen zwei Stunden Film langen.

Es hat sogar für mehrere Filme gereicht. Weil sich so viele dieser Ideen bedient haben…

Das ist doch das nächste: Wenn Du eine gute Idee hast und darauf kommst, dass das schon mal gemacht worden ist: Hey: Alles ist schon mal dagewesen! Das sollte Dich nicht aufhalten! Wenn ihr Deutschen großartige Filme machen wollt: Macht, was die Amerikaner machen: Kopiert die Filme anderer Leute! Als Billy Wilder – ich weiß im Moment nicht, ob er Österreicher oder Deutscher war – nach Amerika gekommen ist, da sind ihm nicht auf einmal plötzlich all diese Ideen gekommen! Er hat sich aus seiner Kultur bedient und ihr einen neuen Sinn gegeben. In Amerika wirkte das frisch und neu. „Manche mögen’s heiß“, „Das Apartment“. Ihr wollt wirklich wissen, warum Deutschland so ein schlechtes Image hat? Einer der Gründe ist, dass ihr all die lustigen Deutschen rausgeekelt habt (lacht). Oder die lustigen Deutschen sind freiwillig gegangen und haben andere Orte zu wirklich komischen Plätzen gemacht.

Mit welcher Art von Komödien sind Sie aufgewachsen? Und wie hat sich das in den letzten Jahren verändert. Besonders im TV-Bereich?

Im Gegensatz zu David Bowies „Young Americans“ bin ich alter Amerikaner. Also bin ich mit all diesen klassischen Sitcoms groß geworden. Ich erinnere mich als Kind daran, dass der Samstagabend Mary Tyler Moore, Bob Hope und der Bob Newhart Show gehörte. Das war die klügste Comedy im Fernsehen. Das war Comedy, in der Charaktere die Ereignisse vorantrieben. Als ich groß geworden bin, habe ich Bob Hope und Bing Crosby geliebt, die haben die vierte Wand eingerissen, wussten, was vor sich ging. Der Unterschied ist der: Wir haben uns von der Komödie wegbewegt, die sich über Leute lustig macht, die unglaubwürdige Leute mit unglaubwürdigen Situationen konfrontierte. Amerikanische Komödie hat im Radio begonnen. Und die Leute im Radio waren im Prinzip die Top-Vaudeville-Performer. Also gab es von Anfang an aus Erfahrung schöpfende handwerklich gute Comedy. Als das Radio kam, kreierten sie dann Shows. Die „I Love Lucy“ Show war zuerst eine Radioshow. Und dann wurde das auf das Fernsehen übertragen. Und das war zu Beginn nicht mehr als Radio mit Bildern. Es ging also vor allem um Autoren und um Charaktere. Ja, es gab Witze, aber die basierten auf den Figuren. Von Anfang an gab es also die Entwicklung, dass die Witze auf dem basierten, was diese Figuren darstellten und waren – statt andersherum. Statt eine Reihe von Autoren zu haben, die mir Witze servieren. (…) Es gab immer diese Shows: „I Love Lucy“, „Burns & Allen“, „The Andy Griffith Show“. Was in den 80er, 90ern und 2000ern passiert ist war, dass das Drama in die Komödie Einzug gehalten hat. Jetzt ist der große Unterschied, dass wir Komödien haben, in denen es Schmerz gibt, Verlust, Zurückweisung, Themen, vor denen nicht mehr zurückgeschreckt wird. Dinge, die den Menschen Angst machen und die sie verletzen. Und längst gibt es nicht mehr nur drei Broadcaster wie früher mit ABC, CBS und NBC. Jetzt – mit Direct TV, Hulu, Amazon, HBO – gibt es Shows mit dem gleichen Anteil an Comedy und Drama. „Transparent“ zum Beispiel, aber ich denke noch mehr an „Breaking Bad“: Das ist zu gleichen Teilen Comedy und Thriller. In der ersten Episode der ersten Season steht er nur in seiner Unterwäsche in der Mitte der Straße, mit seinem schrecklichen kleinen Schnurrbart, bereit, allem ein Ende zu bereiten. Ist das „Der Pate“? Würde Marlon Brando da in seinen engen weißen Unterhosen sitzen? Das sind zugleich Komödien und Dramen. Es gibt sogar in „Game Of Thrones“ komödiantische Elemente…

Aber die erfolgreichste Comedy derzeit ist „Big Bang Theory“. Können Sie uns das erklären? Wir uns nämlich nicht…

Das Geheimnis des Erfolgs von „Big Bang Theory“ ist, dass es wie ein Buddymovie mit akademischen Idioten funktioniert, die als Gruppe sehr gut zusammenpassen. Obwohl Sheldon ein Genie ist, ist er gleichzeitig ein Idiot. Leonard ist zwar auch ein Genie, aber er ist sehr unsicher. Sie haben alle ihre individuellen Mängel. Raj kann nicht mit Frauen sprechen und Wolowitz hält sich selbst für Gottes Geschenk an die Frauen, obwohl es auf den ersten Blick klar ist, dass er das nicht ist. In dieser Truppe, in der alle zusammen eine bestimmte Populärkultur lieben, versucht jeder auch, seine eigene Karriere voranzutreiben. Sie machen alle Fortschritte, haben aber immer Probleme, mit Frauen zu sprechen. Die Zuschauer mögen die Serie, weil es eine Art Romantic Comedy ist, aber ich persönlich mag sie, weil die Charaktere so klar sind in ihren Eigenschaften und in ihrer Figurenzeichnung. Man kann mit diesen Figuren mitfühlen und es interessiert mich, ob Leonard und Penny zusammenkommen oder Sheldon seine Freundin küsst. Muss man „Big Bang Theory“ unbedingt mögen? Sicher nicht. Aber man sollte verstehen, warum andere Menschen die Serie gerne sehen. Sie hat sehr klare Charaktere und man versteht sie mit ihren Problemen und Gefühlen. Es ist wie eine Art Schrödingers Katze. Alles ist ein Experiment: Man legt die Figuren in eine Box und wartet, was passiert. Der Spaß besteht zum Beispiel darin zu sehen, ob sie sich irgendwann gegenseitig an die Kehle gehen.

Das hat ja letztlich auch viel damit zu tun, was Sie in ihren Lectures immer betonen…

(unterbricht) Es gibt auch eine Show, bei der ich nicht verstehe, warum sie so erfolgreich ist, nämlich „Two and a half Men“.

Ein schöner Zufall. Das wäre ohnehin die nächste Show gewesen, nach der wir Sie gerne gefragt hätten.

In meinen Augen ist das totaler Mist, aber man muss auch hier verstehen und anerkennen, wie professionell das Ganze produziert wurde. Sozusagen professioneller Serien-Mist. Die Figuren sind mir egal, ich kann keine Verbindung zu ihnen aufbauen und für mich ist die ganze Situation ein einziges Klischee. Der Womanizer und sein Versager-Bruder… wie konnte er eigentlich überhaupt eine Frau finden, wenn er doch so ein Loser ist? Ich kaufe der Serie die ganze Grundsituation nicht ab und sehe auch keine echte Identifikationsmöglichkeit. Ich kann vielleicht Charlie Sheen in seiner Rolle als Womanizer irgendwie noch akzeptieren, aber seinen Bruder auf keinen Fall. Wie heißt er nochmal? Also der Schauspieler? (Jon Cryer, A.d.R.) Er war doch auch in „Pretty in Pink“ dabei, oder? Ich glaube ihm keine Sekunde, dass er die Figur war, die er spielte, weil er das Klischee eines Typs verkörperte, der nie eine Frau abbekommt. Aber selbst nervöse Figuren wie er, die sonst niemals Mädchen abkriegen, haben mehr Mumm als er in seiner Rolle.

Das ist wahrscheinlich das paradoxeste an der ganzen Figur von Jon Cryer, dass er im späteren Verlauf der Serie immer mehr Frauen abbekommt, obwohl sich sein Charakter nicht wirklich ändert und er sogar immer lächerlicher wird.

Ich habe nie eine Folge gesehen, in der er ein Mädchen abbekommen hat, aber ich habe die Serie auch nicht so lange verfolgt. Meine klassischen Lieblingssitcoms funktionieren da ganz anders. Zum Beispiel „Alle lieben Raymond“. Jeder kann sich mit der Situation identifizieren, weil jeder eine Mutter, eine Frau oder eine Freundin hat. Oder einen Bruder oder doofen Cousin. Ich finde „Friends“ fantastisch oder David Cranes neuere Serie „Episodes“, weil sie im Kern selbst davon handelt, wie eine Sitcom produziert wird. Ein britisches Autorenehepaar wird von einem Sender mit falschen Versprechungen nach Amerika eingeladen, um dort ein Remake ihrer in England sehr erfolgreichen Show zu produzieren. Und genau das ist es, was Amerika macht: Produzenten schnappen sich erfolgreiche Sitcoms aus dem Ausland und ruinieren sie mit ihren amerikanischen Remakes.

Das bringt uns auch direkt zu einer weiteren Stufe gegenwärtiger Comedy. Es gibt  seit einigen Jahren ein Trend zu dem, was ich Meta-Comedy nennen würde und der stärker als klassische Comedy auf dem aufbaut, was Sie vorhin mit der Tradition des Vaudeville-Theaters oder dem Bruch mit Konventionen wie der „Vierten Wand“ skizziert haben. Haben Sie zum Beispiel „Lady Dynamite“ gesehen?

Maria Bamford ist eine gute Freundin von mir.

Das trifft sich ja großartig. Dann richten Sie ihr bitte von uns aus, dass uns die Serie mit ihrem grandiosen Surrealismus eine der besten Comedy-Erfahrungen bietet, die wir in den letzten Jahren gesehen habe.

Sehr gerne. Man muss dabei auch den breiteren Kontext und das Produktionsumfeld beachten. Denn das Tolle an neuen Medienformaten wie Netflix ist ja, dass sie es Kreativen wie Maria erlauben, anders sein zu dürfen und auch neues auszuprobieren. Sie kann eine Show produzieren, die keine Kompromisse eingehen muss. „Lady Dynamite“ ist einfach großartig, eben weil die Serie so ehrlich und direkt ist. Maria hatte die in der Serie gezeigten mentalen Probleme und es geht nicht darum, ein künstliches narratives Konstrukt aufzubauen, um ihrer Figur eine Art Glaubwürdigkeit zu verpassen. Sie tut einfach das, was Comedy am besten kann. Sie bekennt sich offen zu dem, was sie macht, sie durchbricht die „Vierte Wand“. Ich denke, die Serie bekennt sich gleichzeitig  zu ihrer expressiven Künstlichkeit wie zu ihrer Ehrlichkeit, die hinter der Künstlichkeit liegt und mit ihr zusammenhängt. Die Serie gibt zwar vor, eine künstliche Welt zu zeigen, aber was sie mit Maria wirklich sagt ist doch: Ich lebe in einer total künstlichen Welt.

„Better Call Saul“ ist auch ein tolles Beispiel für eine Drama-Show, in der auch Comedy-Elemente eine tragende Rolle einnehmen.

Absolut richtig. „Better Call Saul“ vereint Comedy und Drama in einer Serie auf eine exzellente Art und Weise. Ich liebe diese Serie.

Zahlreiche Facetten erschließen sich auch erst, wenn man „Better Call Saul“ und „Breaking Bad“ zusammen nimmt und sieht.

Und es ist so brillant zu wissen, was aus ihm wird und was mit ihm passieren wird. Shot by Walter White…

Was sind Ihrer Ansicht nach die besten aktuelleren Comedy-Formate – neben  „Lady Dynamite“?

Ich finde zum Beispiel aktuell „Veep“ großartig. Und wie heißt die UK-Serie mit dem britischen Minister nochmal? („The Thick Of It“, A.d.R.). Oh, ich liebe diese Serie. „Silicon Valley“ bei HBO (denkt länger nach). Es gibt leider gerade im normalen Network-Fernsehen kaum gute Comedys, da sie meist langweilig aufgebaut sind und sich immer wiederholen. Ganz besonders mag ich noch „Crazy Ex-Girlfriend“, weil Rachel Bloom speziell mit ihrem musikalischen Talent sehr gut als Comedian funktioniert. „Inside Amy Schumer“ funktioniert ebenfalls mit den Sketchen innerhalb der Serie und mit der Figur Amy Schumer sehr gut. Ach genau: Und ich vermisse Jon Stewart wirklich sehr… (seufzt).

Kommen wir doch jetzt mal konkret zu den Techniken des Comedy-Writing. Ist es sehr unterschiedlich, für Film oder eine Serie zu schreiben?

Ich denke, dass sich Serien und speziell natürlich Autoren in der Regel etwas zu sehr auf Dialoge verlassen, wenn es um Comedy geht. Aber der markanteste Unterschied zwischen Film und Serie besteht sicher darin, dass Filme im Zentrum ein Problem behandeln. In den meisten Fällen ein Problem, das sich in den üblichen 90 bis 120 Minuten lösen lässt, während sich Sitcoms um ein Dilemma drehen, das nicht oder nur sehr schwer aufzulösen ist. Ein Dilemma ist eben kein mehr oder weniger singuläres Problem, sondern es ist stark verknüpft mit weiteren Problemen und Hindernissen, die mit hineinspielen. Gerade Sitcoms zeigen uns häufig, wie Gemeinschaften wie zum Beispiel Familien oder Freundeskreise mit einem Dilemma und den um es kreisenden Auswirkungen umgehen. Nehmen wir als Beispiel „Silicon Valley“, wo eine typische Grundsituation in diese Richtung etabliert wird: Die Gruppe um die beiden Programmierer setzt sich letztlich zu einer Art Familie zusammen. Ihr Dilemma fokussiert sich in der Frage, wie sie mit ihrer App-Idee im Dschungel des Silicon Valley überleben können. Das ist eben ein langfristiges Dilemma, das sich nicht einfach oder kurzfristig lösen lässt, und daher kein Problem wie im Film, das auf eine absehbare Lösung hinausläuft.

Also geht es darum, einen Grundkonflikt zu etablieren, der über 40, 50 oder mehr Episoden tragen kann, solange es die Autoren letztlich wollen? Kann man daraus folgern, dass das Dilemma einer Sitcom also eher an die Figuren und ihre Charaktere gebunden ist?

Genau so ist es. Jedes Problem guter Sitcom-Figuren basiert darauf, dass es zunächst gar nicht gelöst werden kann. Wie ein Gordischer Knoten, der sich nicht zerschlagen lässt, aber auf den eben dauernd eingehauen wird.

Die besten Sitcoms funktionieren also über ein potenziell unendlich fortlaufendes Dilemma, das sich immer wieder verlängern lässt, solange man will?

Richtig. Schauen wir uns zum Beispiel mal „Friends“ genauer an. „Friends“ handelt nicht in erster Linie von sechs gutaussehenden Freunden, die zusammenleben, sondern es geht um das Problem des Erwachsen-Werdens – wenn man eben kein Kind mehr ist und sich weiterentwickeln müsste. Da jedoch in diesem Fall die Freunde zur eigenen Familie wurden, können sie jeweils lange keine eigene Familie gründen und bleiben in ihrer bestehenden Lebenssituation. Daraus lassen sich immer wieder neue Stories und Situationen kreieren, die sich in das Dilemma einfügen, darauf basieren und es damit letztlich weiter funktionieren lassen. Aus diesem Grund kann man aus einem Film wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ keine Serie machen, denn Bill Murrays Figur muss irgendwie aus seiner Situation herauskommen. Er hat ein Problem und muss es irgendwie lösen, da das genau das Thema des Films ist, an dem alle anderen Sujets und Figuren hängen. Als Serie würde Murrays Problem auf Dauer nicht funktionieren. „Mash“ konnte als Serie im Zusammenhang mit einem vorher gedrehten Film funktionieren, weil es da nicht um ein einziges zentrales Problem ging, das gelöst werden musste. „Mash“ konzentrierte sich viel eher darauf, als Charakterstudie einer familienähnlichen Soldatentruppe im Kontext des Korea Krieges zu funktionieren. Dieses Konzept passte sogar besser als Serie, weil wir so die Charaktere genauer kennenlernen und ihre Persönlichkeiten durchschauen konnten.

Alle reden seit längerem über den Writer’s Room. Ist das Schreiben im Comedykontext etwas, das man eher allein tun sollte oder das besser im Team funktioniert?

Da gibt es einige Unterschiede, die man bedenken muss: Der amerikanische Writer’s Room gibt Nachwuchsautoren die Chance, sich zu entwickeln und zu lernen. Hier können Autoren zusammenkommen und voneinander lernen, bevor sie auch allein schreiben. In anderen Ländern ist das leider nicht unbedingt so. Das liegt vor allem an den ökonomischen Voraussetzungen. In UK werden für viele Serien nur ungefähr acht oder weniger Folgen produziert und pro Episode vielleicht 2000 Pfund bezahlt. Wie kann man also dieses recht geringe Budget gerecht in einem Writer’s Room aufteilen? Ganz klar: Gar nicht, denn man muss schließlich auch von seinem Lohn leben können und teilt deshalb nicht gerne einen ohnehin geringen Betrag mit gleich mehreren Leuten. Daher tendieren viele Autoren dazu, allein zu schreiben und nicht an einem Writer’s Room teilzunehmen. Aber gerade hier lernt man tatsächlich auch von den besten Autoren und erarbeitet sich im Verbund mit Anderen ganz neue Perspektiven und Möglichkeiten für das eigene Schreiben. Beispielsweise lernten alle Autoren von „Seinfeld“ ihr Handwerk an anderer Stelle, bevor sie für die Serie schrieben. Keiner von ihnen wachte einfach eines Morgens auf und hatte all diese famosen Ideen für „Seinfeld“. Das gilt natürlich auch für andere Shows wie „Alle lieben Raymond“. Alle Autoren haben zunächst geübt, sich ausprobiert und sind dann in den Projekten gelandet. Es ist immer besser, mit anderen Menschen zusammenzukommen, die das Gleiche betreiben wie man selbst und von anderen zu lernen. Außerdem gilt: Wenn Du der komischste Kerl im ganzen Raum bist: such Dir einen anderen Raum! Denn sonst wirst Du nichts lernen.

Kommen wir ganz aktuell noch auf das Thema Brexit zu sprechen, weil Sie direkt vor Ort in England waren, als die Wahl stattfand. Auf der einen Seite könnte man sagen, dass das Thema aufgrund der politischen Konsequenzen eine fast tragische Dimension beinhaltet, gleichzeitig gab es aber auch komische Aspekte. Viele Wähler in Großbritannien haben sich im Nachhinein zum Beispiel darüber beklagt, nicht genau gewusst zu haben, worüber sie genau abstimmen, weshalb sie gerne nochmal wählen wollten. Kann man hinter diesen Vorgängen und Folgen des Brexit vielleicht so etwas wie eine versteckte Mechanik der Comedy entdecken?

Im Grunde zeigt der Brexit die Dummheit von Menschen und die Probleme westlicher Demokratie auf. Selbst dumme Leute gehen schließlich zur Wahl und wenn sie sich von Politikern manipulieren und belügen lassen, ist ein Phänomen wie der Brexit das Ergebnis. Aber mir fällt es sehr schwer, ein solches Ereignis mit Comedy zu erklären, denn schon Donald Trump ist für mich schon kaum zu begreifen.

Trump und Boris Johnson haben immerhin schon mal den gleichen Haarschnitt.

Vielleicht steckt tatsächlich derselbe Typ unter diesen Haaren. Es ist wirklich erstaunlich, wie ähnlich sich manche Dinge sein können. Die Leute in London, mit denen ich gesprochen habe, waren auch völlig perplex vom Ergebnis. Mir ist kein Mensch begegnet, der für den Brexit gestimmt hat. Wer hat also dafür gestimmt? Leute, die nicht in Städten leben, die nicht mit Immigranten zu tun haben und auch sonst keine Berührung mit unserer globalisierten Welt haben oder das zumindest nicht wollen.

Liegt dann nicht speziell hinter dem Verhalten der Briten nach der Wahl und vor allem ihrem Umgang mit dem Ergebnis eine versteckte Logik der Comedy?

Vielleicht kann man es bezogen auf Comedy auf diesen Punkt bringen: Menschen werden immer dumme Dinge tun, wenn du ihnen die Möglichkeiten dazu gibst.

Wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch!

Steve Kaplan ist einer der führenden Comedy-Experten in der Unterhaltungsindustrie. Er ist Mitbegründer und künstlerischer Leiter des Manhattan Punch Line Theatre, hat für HBO sowohl HBO Workspace als auch das New Writers Program begründet und als Script-Doctor und -Berater an etlichen großen Hollywoodprojekten mitgearbeitet. Mit seinem „Comedy Intensive Workshop“ war er bereits an den Top-Universitäten der Welt zu Gast, sein Buch „The Hidden Tools Of Comedy“ gilt als Bibel für Comedy-Autoren.

Kontakt und weitere Informationen:

www.kaplancomedy.com // steve@kaplancomedy.com

 

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