Mr. Schirman, wie haben Sie das gemacht?

The Green Prince_©2014.A-List Films, Passion Pictures, Red Box Films (5)

In seinem Dokumentarfilm “The Green Prince” erzählt Regisseur Nadav Schirman die faszinierende Geschichte von Mossab Hassan Yousef basierend auf dessen Buch „Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist“. Der Sohn einer der bekanntesten Hamas-Führer war länger als ein Jahrzehnt unter Gonen Ben Yitzhak als Informant für den israelischen Geheimdienst Schin Bet tätig. Auf dem Sundance Festival wurde der Film mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, in Hof feierte er seine Deutschland-Premiere. Der Film wirft viele Fragen auf: Wie konnte der Regisseur die Protagonisten finden und ansprechen? Wie hat er sie interviewt? Wo hat er gedreht? Ein Gespräch mit Nadav Schirman über die Recherche und Entstehung dieses außergewöhnlichen Stoffes. Der Film startet am 27. November in den deutschen Kinos.

Was hat dich dazu bewogen, das Buch „Son of Hamas“ von Mossab Yousef zu verfilmen?
Nadav Schirman:
Ich habe bereits zwei andere Kinodokumentarfilme über das Thema Spionage gemacht. „Der Champagner Spion“, auch eine deutsch-israelische Koproduktion über einen Sohn, der entdeckt, dass sein Vater ein Mossad-Agent ist. In dieser Vater-Sohn-Beziehung gehen wir auf den persönlichen Preis von Spionage ein. Der zweite Film war „In the Darkroom“, der letztes Jahr auf dem Münchner Filmfest lief und die Geschichte von der Frau und Tochter von Carlos dem Schakal erzählt. Auch eine Familienbeziehung, die tief in die gefährliche Welt von Terrorismus und Agenten führt. Danach suchte ich einen dritten Teil für diese Trilogie. Ein Freund hat mir das Buch von Mossab gegeben, und ich war ganz fasziniert, da es einen seltenen Einblick in die Struktur der Hamas liefert. Man denkt, man kennt die Hamas aus den westlichen Nachrichten und Schlagzeilen. Aber die Kultur der Hamas kennt man nicht. Und darum geht es in dem Buch: Dieser junge Mann Mossab, ein echter Prinz der Hamas, erzählt von der Kultur und seiner persönlichen Reise aus dieser heraus bis zur Kollaboration mit Israel. Das hat mich begeistert. Ich habe die Beziehung zwischen Mossab und seinem israelischen Geheimdienst-Agenten Gonen heute zwar verstanden, aber die Entwicklung dorthin bereitete mir Gänsehaut. Ich habe echte Hoffnung gefühlt. Das war der Punkt, an dem ich gesagt habe, ok, wir machen dieses Projekt. Es war eine schwierige Entscheidung, denn der Film ist eine große Maschine – eine internationale Koproduktion mit Deutschland, Israel und der UK. Das war viel Arbeit. Aber mein Gefühl gab mir den Anstoß, den Film zu machen.

Wie verlief dein erstes Treffen mit Mossab?
Das war sehr spannend. Ich war in Deutschland und er in Kalifornien. Wir haben uns entschieden, uns in der Mitte zu treffen. In New York. Als ich auf ihn in der Hotel-Lobby gewartet habe, kam die Nachricht, dass Osama bin Laden getötet wurde. Kurz danach kam Mossab in die Lobby und fragte, ob ich die Nachrichten gehört hätte. Er schlug vor, zum Ground Zero zu fahren. Fünf Minuten später saß ich mit dem Sohn des Hamas-Gründers in einem Taxi. Dort waren Tausende von Amerikanern, die „Amerika, Amerika“ geschrien haben. Es war ein großer Moment für die Amerikaner. Ich habe Mossab von der Seite beobachtet und gesehen, dass er an dieser Feier teilnehmen wollte. Ich war ganz erstaunt, da er zehn Jahre früher auch für die andere Seite hätte jubeln können. Seine Identitätskrise war so tief, das hat mich beeindruckt.

Die Interviews mit Mossab und Gonen sind sehr persönlich und thematisieren ihre Beziehung auf emotionale Weise. Wo habt ihr diese gedreht, und wie sah deine Interviewführung aus?
Mossab und Gonen sind Meisterspione, Meister der Täuschung. Wenn man mit den beiden ein Interview macht, muss man sie aus der Bahn werfen. Wir haben in den Bavaria Filmstudios mit der Set-Designerin Renate Osterer ein Set mit fünf Meter hohen Mauern gebaut. Es fühlte sich wie in einem Verhörsaal an.

Die Interviews haben wir nach der Interrotron-Methode des Filmemacher Errol Morris geführt. Diese Methode ermöglicht es, mit dem Interviewpartner direkt durch die Kameralinse zu sprechen. Dazu wird ein Teleprompter benutzt, auf dem das Bild des Interviewers erscheint. Die beiden haben mich in dem Teleprompter gesehen, hinter dem aber die Kamera stand. Das hat zum Vorteil, dass die Befragten direkt in die Augen der Zuschauer schauen, was die direkte Beziehung zwischen dem Protagonisten und dem Zuschauer ausmacht. ARRI hat für uns alles gebaut, was großartig war. Eine Kommunikation besteht ja nur zu 30 % aus Wörtern. Die Gestik und die Energie sind sehr wichtig, wenn man kommuniziert.

Die Interviews haben neun Tage oder sogar länger gedauert. Zehn Stunden am Tag habe ich die beiden interviewt. Wir haben verschiedene Techniken verwendet, um tiefer in ihre Geschichte einzudringen. Die Interviews waren manchmal wie ein Dialog, manchmal wie ein Verhör, manchmal wie ein Geständnis. Manchmal habe ich die beiden auch sich gegenseitig interviewen lassen. Der Film handelt von Emotionen, und ich wollte die Schutzgrenzen durchbrechen. Das ging aber nur, weil die beiden so mutig waren.

Du schaffst es, dass sich die beiden vor der Kamera komplett öffnen und ihre Geschichte erzählen.
Das Wichtigste war, vor dem Film das Vertrauen aufzubauen. Ich habe gewusst, dass wir während des Drehs sehr emotional werden würden. Als Filmemacher kümmern wir uns um Geschichten und Emotionen. Es war von Anfang an ganz klar, dass wir beide auf ihre Gefühlsebene führen müssen. Dafür braucht man erstens Vertrauen und dann ein Zugeständnis, dass es eine schwierige Reise werden wird, die nur mit Vertrauen erfolgen kann. Es ist schon sehr schwierig, sich einem Psychiater oder Psychologen zu öffnen. Mit einer Filmcrew ist es aber noch einmal etwas ganz anderes.

Als ich Gonen gefragt habe, wie schwierig es für ihn war, nach seinem USA-Aufenthalt zurück nach Israel zu gehen, hat Gonen 40 Minuten geantwortet. Das hat mich total fasziniert, und ich musste immer in die Kamera gucken, um den Augenkontakt zu halten. Er fing also an zu reden, und es dauerte und dauerte. Ich habe mich gefragt, wie wir das bloß schneiden sollen. Dann guckte ich aus dem Augenwinkel zu meinem Kameramann und Tonmeister und sah, dass sie weinen. Da wusste ich, dass wir starkes Material haben und einen spannenden Film machen werden.

Nach den Dreharbeiten in München kam Gonen zu mir und sagte, dass er sich zum ersten Mal in seinem Leben beherrscht gefühlt hat. Da habe ich realisiert, wie sehr die Arbeit eines Regisseurs der Arbeit eines Geheimagenten ähnelt: Erst muss man Vertrauen aufbauen, danach muss man eine Richtung geben. Das sind sehr ähnliche Arbeiten.

Gab es besondere Sicherheitsvorkehrungen am Set?
Wir haben mit bewaffneter Security gedreht. Die Security ging während des Drehs mit Mossab überall hin. Als wir mit den Dreharbeiten begonnen haben, sagte Mossab, er habe mehr Angst vor der Security als vorm Filmteam (lacht). Die beste Security sagt er aber immer, ist Anonymität.

Im Film verwendet ihr neben Interviews auch Archivmaterial. Wo habt ihr dieses gefunden?
„The Green Prince“ musste für das Publikum spannend und emotional werden, da es ein Kinodokumentarfilm ist. Wir haben ohne Kompromisse überall nach dem Material gesucht. Die Szenen mit Mossab und seinem Vater kommen zum Beispiel aus dem arabischen Fernsehen. Sein Vater ist ein bekannter Politiker, deshalb begleitet das Fernsehen all seine Auftritte. Wir waren vor allem an dem Material interessiert, das vor und nach den offiziellen Beiträgen entstand und vom Fernsehen nicht benutzt wurde. Al Jazeera fragte uns zum Beispiel irritiert, warum wir das bräuchten. Für sie war nicht interessant, dass die Berichterstatter, ohne es zu wissen, einen Spion in Aktion gedreht haben. Mossab war die rechte Hand seines Vaters und immer bei ihm. Dieses Archiv-Material war für uns cineastisches Dynamit. Es war sehr interessant zu sehen, wie unschuldiges TV-Material in einem dramatischen Kontext zu einer explosiven Mischung werden kann. Ein anderer Teil des Materials kommt vom IDF, dem Israel Defense Forces. Einen weiteren Teil haben wir selbst gedreht, wie die Szenen mit den Drohnen aus Ramallah. Dort konnten wir allerdings die Szenen nicht vor Ort drehen, da die israelische Armee sofort schießen würde. Somit haben wir in einem arabischen Dorf in Israel gedreht, das wie Ramallah aussah. Das Sonderkommando aus den Filmszenen ist aber tatsächlich echt. Unser Line Producer aus Israel hat mit den Special Forces Kontakt aufgenommen, die wir dann drehen durften.

Planst du bereits, weitere Filme in Bayern zu drehen?
Noch ist nichts konkret. Aber die Dreharbeiten in Bayern liefen so gut, was eine große Entdeckung für mich war. Und auch bei ARRI haben die Leute bei dem komplizierten Projekt mit Herz und Seele gearbeitet. Das kann man mit Geld nicht kaufen. Der Erfolg dieses Films ist nur zustande gekommen, weil alle Beteiligten ohne Kompromisse dabei waren. Das Produkt am Ende ist dadurch viel größer geworden, als die Summe der einzelnen Teile. Das hat mir Appetit gemacht, nochmal in Bayern zu drehen.

Bayern Brunch Hofer Filmtage 2014 (c) FFF Bayern Hendrik Ertel (3)

Der FFF Bayern hat „The Green Prince“ mit 150.000 EUR im April 2012 in der Produktion gefördert. Das Bild zeigt v.l. FFF-Geschäftsführer Prof. Dr. Klaus Schaefer, Nadav Schirman und Kinoförderreferent Nikolaus Prediger beim Bayern Brunch in Hof.

 

 

 

 

 

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