„Eine Art früher Hippie“ – Ein historischer Blick auf Georg Elser

Elser (c) Lucky Bird Pictures, Bernd Schuller  (6)

So charakterisiert Oliver Hirschbiegel den Widerstandskämpfer Georg Elser,
über den er einen Spielfilm in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und
Südtirol
inszeniert hat. Wer war dieser Mann, der am liebsten auf der
Schwäbischen Alb
wanderte und dann irgendwann das Ungeheuerlichste wagte?
Ein historischer Blick auf
den Protagonisten der aktuellen Lucky-Bird-Pictures-Produktion.

Text: Verena Weidenbach

Der Münchner Georg-Elser-Platz ist ein Ort, wie er quirliger kaum sein könnte. Ein Café namens „Zeitgeist“ lädt zum Verweilen ein – und die angrenzende Türkenstraße präsentiert sich als Hedonisten-Flaniermeile mit Espressobars, Frozen-Yoghurt-Dielen, In-Veganer, Trend- boutiquen und allem Übrigen, was Hipster und Studenten an Umwelt begehrenswert finden. Dass der idyllische Platz nach einem Helden des deutschen Widerstandes benannt ist, geht in der urban-belebten Szenerie mitunter ebenso unter wie das Denkmal für den einstigen Anwohner, das sich als unaufällige Fassadeninstallation an eine Hauswand schmiegt.
So scheint auch die bunte Filmcrew, die sich hier an einem Sommertag den Fotografen stellt, ganz und gar in die unbeschwerte Gegenwart des sogenannten „Kreativviertels“ zu gehören.

Doch der Ort des Pressetermins ist keineswegs zufällig gewählt und die beiläuig gestellte Frage, ob denn Lachen auf den Fotos erlaubt sei, verweist ganz unvermittelt auf den ernsten historischen Hintergrund des Zusammentreffens: Es geht um Elser – den neuen Film über jenen Mann, der am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Bomben-Attentat auf Adolf Hitler verübte. Einen lang verkannten Helden, der kläglich scheiterte, weil sich der selbsternannte „Führer“ 13 Minuten früher als geplant von der Kundgebung verabschiedete, so dass der Zeitzünder-Sprengsatz sein Ziel verfehlte. Der bei seiner Flucht an der Schweizer Grenze gefasst und anschließend in Sachsenhausen und Dachau inhaftiert wurde – bis ihn SS-Oberscharführer Theodor Bongartz nur wenig Tage vor Kriegsende, am 9. April 1945, auf Befehl Adolf Hitlers per Genickschuss hinrichtete.

Genau 25 Jahre nach Klaus Maria Brandauers preisgekröntem Film „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ wollen die Produzenten Boris Ausserer, Oliver Schündler und Fred Breinersdorfer die Geschichte Elsers erneut auf die Leinwand bringen. Das Drehbuch stammt von Fred Breinersdorfer („Sophie Scholl – die letzten Tage“) und seiner Tochter Léonie-Claire. Regie führte Oliver Hirschbiegel, der zehn Jahre nach „Der Untergang“ (2004) erneut in die Abgründe der NS-Zeit eintaucht. Und auch die Riege der Hauptdarsteller ist namhat: von Burghart Klaußner („Das weiße Band“) über Katharina Schüttler („Unsere Mütter, unsere Väter“) bis hin zu Christian Friedel („Das weiße Band)“ in der Titelrolle des Georg Elser.

Die Frage „Warum Elser?“ lässt sich aus Sicht der Macher schnell beantworten: Weil der schwäbische Kunstschreiner „den Nationalsozialismus weit vor allen anderen als schleichende Krankheit erkannte“, wie es Oliver Hirschbiegel formuliert. Vor allem aber, weil ihm die verdiente Anerkennung seiner Tat aus vielschichtigen Gründen Jahrzehnte lang verwehrt blieb.

Erinnerungspolitik ist immer auch Identitätspolitik – und die autoritär geprägte Adenauerrepublik gründete ihr brüchiges Selbstverständnis lieber auf Claus Schenk Graf von Stauffenberg und das Attentat des 20. Juli 1944. Der gutaussehende, stramm gescheitelte Adelige präsentierte sich den Zeitgenossen als Idealbild des „edlen“ deutschen Offiziers, der die Pflicht gegenüber dem Vaterland über alles gestellt hatte – einschließlich der Treue zu Hitler. Der einfache Handwerker und KP-Wähler Georg Elser war dem politischen Mainstream jener Tage dagegen bei weitem zu proletarisch, während er in den Augen der Linken zu wenig Farbe bekannt hatte und demnach schwerlich als Partei-Idol taugte. Vor allem aber hätte eine tief- greifende Auseinandersetzung mit Elsers Tat unbequeme Wahrheiten ans Licht gebracht, denen sich die satte Wirtschatswundergesellschaft einstweilig lieber nicht stellte. So etwa die Tatsache, dass der vermeintliche „Dämon“ Hitler durchaus nicht das gesamte deutsche Volk verführt hatte, wie es die damals vorherrschende Deutung der NS-Zeit suggerierte. Einer hatte dem Sog des Teufels widerstanden, früher als jeder Bildungsbürger – und genau dies machte es den Zeitgenossen unmöglich, den Bombenattentäter aus der schwäbischen Provinz als Ihresgleichen zu akzeptieren.

Lieber hielt man den Einzeltäter für einen vermeintlichen Handlanger des britischen Geheimdienstes: eine hanebüchene Theorie, die noch aus der Nazizeit herrührte und mit dazu beitrug, die sachliche Aufarbeitung der Causa Elser auf Jahre zu verzögern. Die Wende erfolgte tatsächlich erst Mitte der sechziger Jahre, als der Historiker Lothar Gruchmann die von ihm entdeckten Gestapo-Verhörprotokolle öfentlich machte. Sie machten erstmals fassbar,
was Elser tatsächlich dazu bewogen hatte, sein schwäbisches Umfeld hinter sich zu lassen, mit allen Freunden zu brechen und in Münchner Verstecken monatelang an einem ausgeklügelten Sprengsatz zu basteln: ein tiefes Unrechtsempfinden – und der Wunsch, den Krieg mit allen Mitteln zu verhindern.

In der Folgezeit nahmen sich weitere Forscher seiner Geschichte an. Theaterautoren und Biografen entdeckten die Vita des Widerstandskämpfers, und nach Brandauers Film wurden immer mehr Straßen und Plätze zu Elsers Ehren umbenannt. Inzwischen, so scheint es, hat Deutschland den widerspenstigen Helden endgültig in sein kollektives Gedächtnis aufgenommen: Seit 2001 wird in Zwei-Jahres-Abständen der „Georg-Elser-Preis“ für Zivil- courage verliehen, zunächst von einem gemischten Gremium, seit 2013 von der Stadt München. Im Berliner Regierungsviertel erinnern eine Büste (2008) und ein 17 Meter hohes „Denkzeichen“ (2011) an die Tat des gescheiterten Hitler-Mörders. Und in Elsers Heimatort Königsbronn, der viele Jahre als „Attentatshausen“ geschmäht wurde, existiert seit 1998 eine Gedenkstätte, die das Erbe des Widerstandshelden pflegt.

Doch wer war der Mann, der von den einen als couragierter Wutbürger der ersten Stunde gefeiert wird, während ihn andere noch immer ins moralische Zwielicht rücken – bis hin zu dem Vorwurf, Elser habe durch seine Bombe acht unschuldige Menschen in den Tod gerissen, wie der Politologe Lothar Fritze (Hannah-Ahrendt-Institut) noch 1999 anprangerte?

Bezeichnenderweise wurde das bekannteste Bild von Georg Elser nach seiner Verhaftung gemacht. Es zeigt einen ernst dreinblickenden, leicht derangiert wirkenden Mann mit Dreitagebart und mühsam zurechtgekämmtem Haupthaar – die perfekte Illustration für das langlebige Klischeebild vom zweifelhaften Sonderling. Noch dazu wirkt das Schwarz- Weiß-Bild im wahrsten Sinne des Wortes weit weg – verhaftet in einer Vergangenheit, die in der kollektiven Erinnerung zum Mythos erstarrt ist, monolithisch und einschüchternd in ihrer Eigenschaft als „dunkelstes Kapitel der deutschen Geschichte“.

Diese emotionale Distanz zu überbrücken, war bereits Brandauers großes Anliegen. „Sein“ Elser präsentiert sich dem Zuschauer als betont einfacher Mann aus dem Volk: ein rechtschaffener Bauchmensch, wortkarg, stoisch, kein Mann für geistige Höhenflüge, aber einer, der weiß, was Recht und was Unrecht ist – und konsequent danach handelt. Allerdings nahm sich der Film zahlreiche künstlerische Freiheiten, gemäß Brandauers Einschätzung: „Wir werden den Elser nie so packen, wie er wirklich gelebt hat. Auch er ist nur eine Kunstfigur.“ Vor diesem Hintergrund erhielt der Widerstandskämpfer nicht nur eine fiktive schwangere Freundin.
Der Film bescherte seinem Protagonisten zugleich eine Schlüsselerfahrung, die ihm ein mögliches Motiv für sein späteres Handeln lieferte: die berühmte „Toilettenszene“, in der der künftige Attentäter in der schäbigen Umgebung eines öfentlichen Aborts von SA-Männern zusammengeschlagen und mit Urin besudelt wird.

Dass die Episode in keiner historischen Quelle bezeugt ist, vermochte den
Zuspruch für Brandauers Hommage seinerzeit kaum zu schmälern. Die
Macher des neuen Films favorisieren jedoch eine subtilere Erzählweise, die
darauf verzichtet, „Erweckungserlebnisse“ zu schildern, die so „nie stattgefunden
haben“, wie Léonie-Claire Breinersdorfer nach drei Jahren Recherche
betont. Zwar lässt sich Elsers Persönlichkeit noch immer nicht vollständig
rekonstruieren: Zu spärlich sind die überlieferten Selbstzeugnisse
und zu bruchstückhaft das in den letzten Jahrzehnten zusammengetragene
Quellenmaterial.

Dennoch haben die Autoren aus unzähligen Indiziensplittern ein, wie sie
glauben, überaus lebendiges Charakterbild zusammengesetzt. Sie sichteten
die Gestapo-Verhörakten und andere Schlüsseldokumente. Sie sprachen
mit einer Zeitzeugin, die auf Wunsch des Filmteams einstweilig anonym
bleiben soll – und sie erwärmten sich im Laufe der Recherchen immer
stärker für ihren Protagonisten, der laut Léonie-Claire Breinersdorfer mehr
Identifikationsmöglichkeiten bietet als manch andere Widerstandsikone:
„Sophie Scholl erscheint trotz ihres jungen Alters so reflektiert, so engelhaft
und klar in ihren Überzeugungen. Das erzeugt Ehrfurcht, aber man
fühlt sich mit ihr nicht unbedingt auf einer Höhe.“

Ganz anders Georg Elser, den Hirschbiegel als „eine Art frühen Hippie“
charakterisiert: Freigeistig und unkonventionell, manchmal auch mal
unzuverlässig. Lieber auf der Walz als in festen Arbeitsverhältnissen. Ein
Wanderfreund, der sich auf ausgiebigen Touren durch die Schwäbische Alb
mit seinen Freunden an der Natur berauschte. Ein leidenschaftlicher Musiker,
der das Zitherspiel liebte – und viele Frauen, die er partout nicht heiratete.
Vor allem aber präsentiert sich der Hitler-Attentäter in der Rückschau
als Mann der sich allen politischen und religiösen Dogmen verweigerte
und Ideologien jeder Art zutiefst misstraute. Der die KP wählte, weil diese
seiner Ansicht nach am ehesten die Interessen der Arbeiter vertrat, aber
niemals wirklich mit der Parteilinie konform ging. Der Gruppenzwang
ablehnte und sein ureigenes Gerechtigkeitsempfinden gegen jede Form der
Bevormundung setzte.

Zu zeigen wie ausgerechnet dieser lebenslustige, dem Wesen nach unpolitische
Mann zum Hitler-Attentäter avancierte, ist die große Herausforderung
für die Macher des Films. Hirschbiegel – seit „Der Untergang“ darauf spezialisiert,
die Grausamkeit des NS-Regimes auf das Menschliche, erschreckend
Menschliche herunterzubrechen – sieht sein Elser-Porträt demnach
als weiteren Mosaikstein eines breiter gefassten Psychogramms des „Dritten
Reiches“. Diesmal führt die cineastische Archäologie nicht in den Bunker,
wo die verblendete Reichselite 1945 ihre Götterdämmerung erlebte,
sondern zu Volkes Wurzeln, in den Mikrokosmos eines schwäbischen Dorfes
vor Kriegsausbruch.

Hier, inmitten seiner überschaubaren Welt, reift Elsers Plan, „die Führung“
des NS-Staates zu beseitigen, wie er später zu Protokoll geben wird. Hier
erlebt der Handwerker die fortschreitende braune Infiltration des Altvertrauten,
die Euphorie der einfachen Leute, die Hitler nach krisenreichen
Jahren als neuen Heilsbringer verehren, aber auch den Anpassungszwang
und das Sich-Zusammenrotten einer neuen Clique aus selbsternannten
Herrenmenschen. All dies überzeugt ihn davon, dass mitten in der
vermeintlichen „Normalität“ des Vorkriegsaufschwungs etwas Ungeheuerliches,
ja Untragbares geschieht: eine fortschreitende Einschränkung
von persönlicher Freiheit und Monopolisierung von Gewalt, die ihn langsam
aber sicher in den Widerstand treibt.

„In dieser kompromisslosen Wehret-den-Anfängen-Mentalität ähnelt er
dem modernen Menschenrechtsstreiter Edward Snowdon“, erklärt Hirschbiegel
– und landet damit ganz unverhofft in der Gegenwart des Jahres
2014. Ein Georg-Elser-Film im vernetzten Spaßzeitalter – diese Idee
erscheint mit einem Mal bemerkenswert schlüssig.

 

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