Mörderische Gesangstalente – Ein Bericht zum Dokumentarfilm „Von Sängern und Mördern“

Szenenbild von "Von Sängern und Mördern"

In dem FFF-geförderten Dokumentarfilm „Von Sängern und Mördern“ nimmt Regisseur Stefan Eberlein den Zuschauer mit in eine verborgene Welt, mitten hinein in russische Gefängnisse. Nicht die Strafen oder die Lebensbedingungen in der Haftanstalt stehen im Vordergrund der Geschichte, sondern ein Gesangswettbewerb. Der Dokumentarfilm ist am 7. September 2017 in den deutschen Kinos gestartet. Ein Bericht über russische Häftlinge auf der großen Bühne.

Von Tim Nauerz

Ein raschelnder Schlüsselbund ist zu hören, schwere Eisentüren fallen zu und ein hoher Stacheldrahtzaun umrundet das Gelände. So hat sich das Bild einer Haftanstalt in unser kollektives Gedächtnis verankert. Doch etwas ist anders in russischen Gefängnissen. Wir hören Gesang, der durch die Gänge schallt. Eine ungewohnte Situation. Doch so ungewöhnlich ist die Szenerie gar nicht, denn viele russische Gefangene nehmen am Gesangswettbewerb „Kalina Krasnaja“ (deutsch: „Roter Holunder“) teil. Jeder der schätzungsweise 700.000 Häftlinge Russlands darf teilnehmen. Er bietet die Hoffnung auf die rare Chance, der unerbittlichen Monotonie von Gefängnis und Straflager auf Zeit zu entkommen.

Stefan Eberlein war mit seinem Team zwischen 2012 und 2015 in der verschlossenen Parallelwelt unterwegs und hat beeindruckende Momente mit der Kamera für seinen Dokumentarfilm eingefangen.

Der Film nimmt den Zuschauer mit in eine Welt hinter verschlossenen Gefängnistüren und zeigt ganz deutlich, dass die Vorurteile von Hass und Gewalt, nur bedingt stimmen. Eine bedrohliche Stimmung ist trotzdem zu spüren. Schließlich handelt es sich um verurteilte Verbrecher und Mörder. Doch genau diese Sichtweise ist bewundernswert. Natalia Abashkina, die Regisseurin der Gesangsshow, schafft es, aus den Menschen hinter Gittern die einzelnen Persönlichkeiten in den Vordergrund zu rücken. Sie wirken authentisch und vor der Kamera beginnen sie ihre Geschichte zu erzählen.

Eberlein war es wichtig, den echten Menschen hinter einem Täter zu zeigen. Es soll durch den Film keine Verurteilung stattfinden. Vielmehr stehen der Wettbewerb und das Gesangstalent der Häftlinge im Mittelpunkt des Dokumentarfilms. So singen und rappen die starken Stimmen von Heimweh, Liebe und der Bitte um Vergebung. Die Häftlinge entdecken bei dem Projekt ihre künstlerische Seele. Der Zuschauer wird dadurch gefangen in einer Parallelwelt – zwischen Einsamkeit und Hoffnung. Auf der einen Seite sieht er einen verurteilten Mörder und auf der anderen Seite, berührt der Gesang. Für die Inhaftierten ist die Vorbereitung zum Wettbewerb eine gelungene Abwechslung in ihrem Alltag. Sie entfliehen aus der engen Zelle und geben sich ihrer Leidenschaft hin: dem Singen. Und schon bei den Proben wird klar. Hinter so manchem harten Kerl, steckt ein wirkliches Gesangstalent.

Der Gesangswettbewerb wurde 2003 von dem Moskauer Musiklabel „Sojus Production“ ins Leben gerufen. „Resozialisierung durch Kreativität“ ist die Idee dahinter. Eberlein begleitete Natalia Abashkina bei der Suche nach Gesangstalenten. Sie besucht zahlreiche Haftanstalten und kümmert sich um ihre Schützlinge. Für Abashkina ist die Arbeit mit den Gefangenen eine Berufung.

Seit 2007 übernimmt sie die Organisation des Wettbewerbs. Unermüdlich reist sie durchs Land und sucht Talente. Sie ist eine taffe Frau und setzt sich stark für die Integration von Gefangenen in den normalen Alltag ein. Abashkina ist den gefangenen Männern und Frauen Mutter, Coach, Seelsorgerin und Bewährungshelferin. Für sie ist es mehr als ein Job. Der Zuschauer merkt, mit wie viel Leidenschaft und Hingabe Natalia Abashkina dabei ist. So bereitet sie auch mit viel Enthusiasmus den finalen Gala-Abend des „Kalina Krasnaja“ vor, der einmal im Jahr stattfindet.

Die Reaktion der russischen Gesellschaft auf den Wettbewerb fällt unterschiedlich aus. Es ist immer eine Reibungsfläche vorhanden. So gibt es Befürworter, als auch Gegner des Projekts. Die Gegner werfen den Verantwortlichen vor, den Gefängnisalltag zu kommerzialisieren und den Häftlingen bewusst eine Bühne zu schaffen. Der Vorwurf steht im Raum, dass diese wie Stars behandelt werden.

Stefan Eberlein erzählt, dass er vor schwierigen Drehbedingungen stand. 2010 begann er mit den Recherchearbeiten zum Film. Zu dieser Zeit waren Russland und Deutschland gut befreundet. Dies war die wichtigste Voraussetzung für seine Idee, den ungewöhnlichen Wettbewerb hinaus in die unbekannte, aber stark mystifizierte Parallelwelt der Gefängnisse und Straflager in Russland, wenigstens filmisch zu erschließen. Als Eberlein 2014 mit den Dreharbeiten begann, änderte sich die Situation grundlegend. Russische Truppen besetzten die Krim, der neue Kalte Krieg brach aus, Westeuropäern wurde der Zutritt zu den Strafkolonien verboten. Für ihn, als Filmemacher, waren dies katastrophale Entwicklungen, der Abbruch des Projekts stand im Raum. Doch Eberlein hatte Glück im Unglück. Je schärfer die politische Krise wurde, desto enger rückten die deutschen und russischen Partner zusammen. Seinem russischen Filmteam ist zu verdanken, dass es die Aufnahmen überhaupt gibt. Es wurde ein einheimisches Team zusammengestellt, das in den Gefängnissen drehte. Eberlein selbst hatte keinen Zutritt zu den Haftanstalten. Zuerst stand allerdings großes Misstrauen im Raum, da das Musiklabel „Sojus Produktion“ befürchtete, dass der Film, wie viele westlichen Medien, den Gesangswettbewerb als Propagandainstrument der russischen Regierung missbraucht. Das Projekt steht nämlich in Russland massiv unter Druck. So gibt es viele Politiker und Systemtreue, die verurteilen, dass Kriminellen ein so großes Forum geboten wird, wie es beim Gala-Abend „Kalina Krasnaja“ alljährlich der Fall ist.

Mit dem Dokumentarfilm „Von Sängern und Mördern“ schafft Eberlein eine spannende und berührende Sichtweise auf russische Gefangene. In den von Tragödien und Brüchen gezeichneten Lebensgeschichten der Protagonisten spiegelt sich die gesellschaftliche Realität eines Staates, der noch immer von Willkür und Brutalität geprägt ist. Der Film macht aber auch sichtbar, dass er sogar in der Wirklichkeit des heutigen Russland möglich ist, zutiefst menschlich zu handeln. Die Musik schafft eine Verbindung unter den Häftlingen und gleichzeitig wird die Liebe zur Musik auf den Zuschauer übertragen.

 

 

 

 

 

 

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