Das Zitat stammt aus Christian Bachs Debütfilm „Hirngespinster“, in dem Tobias Moretti einen schizophrenen Familienvater spielt. Der Film feierte auf dem Filmfest München Premiere und ist ab Donnerstag, 9. Oktober 2014, in den Kinos zu sehen. Ein Gespräch mit dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller über Schizophrenie, die Drehvorbereitungen und die visuelle Umsetzung der Geschichte.
Der Titel Deines Films lautet Hirngespinster. Ein Fantasiewort, das es so nicht gibt. Wie bist du darauf gekommen?
Christian Bach: Das ist das erste Mal, dass mich das jemand fragt und ich habe eigentlich damit gerechnet, dass ich das dauernd gefragt werde. Ich finde es immer spannend, wenn Filmtitel irgendetwas haben, worüber man stolpert. Ich wusste zwar, dass es grammatikalisch falsch ist, aber es klingt einfach besser. Mich stört es nicht und ich bin auch kein Grammatik-Spießer der sagt, dass alles korrekt sein muss. Die Assoziation zu Gespenst ist gewollt und ich habe nichts dagegen, wenn man auf Assoziationen kommt. Zwischendurch haben wir natürlich nach anderen Titeln geschaut, aber eine richtig tolle Alternative gab es nicht. So ist es bei dem Titel geblieben.
Über Schizophrenie wird in unserer Gesellschaft wenig gesprochen. Warum wolltest du darüber einen Film drehen?
Christian Bach: Die Inspiration der Geschichte kam über eine Familiengeschichte von jemandem, der mir sehr nahe steht und den ich schon sehr lange kenne. Was bei ihm zu Hause passiert ist, hat mich eine ganze Weile lang beschäftigt. Ich habe mich zwar beim Schreiben aus Respekt und Schutz sehr weit von seiner Familiengeschichte entfernt, indem ich noch viele andere Sachen recherchiert und die Dinge dann verdichtet habe, aber die Hauptinspiration kam von jemandem, der betroffen ist und den ich gut kenne.
Wie hat die betroffene Person auf den Film reagiert?
Christian Bach: Er hat die Drehbuchfassungen gelesen, den Film aber noch nicht gesehen. Ich bin total gespannt, was er dazu sagt. Das Feedback, was ich von anderen Betroffenen erhalten habe, ist aber sehr erleichternd. Die meisten sagen, dass die Krankheit gut getroffen ist. Und das ist mir viel wichtiger als das, was Filmkritiker sagen. Die Betroffenen erkennen im Film unheimlich viel wieder und sind auch froh, dass es diesen Film gibt – aus der Perspektive der Gesunden.
Der Film ist aus der Perspektive des Sohnes erzählt. Wie habt ihr die Geschichte visuell umgesetzt?
Christian Bach: Die Geschichte aus der Sicht der Gesunden zu erzählen bedeutet, dass man nicht in die Welt der Wahnsinnigen eintaucht, sondern in der Wirklichkeit bleibt. Das war unser Anspruch. Es ist für Filmemacher oft dankbar, in die Welt eines psychisch Kranken einzutauchen. Da kann man sich cineastisch austoben. Das ist genau das, was ich nicht machen wollte. Das war eine ganz bewusste Entscheidung, da ich dem Betroffenen gegenüber eine starke Verantwortung gespürt habe. Wir haben die Geschichte ohne Effekthascherei, unaufgeregt und nüchtern im positiven Sinne erzählt. Natürlich haben wir visuell sehr zurückhaltend, aber auch schon sehr überlegt mit den Räumen und Perspektiven gespielt. Die Schauspieler machen auch einen Großteil aus und das Haus spielt natürlich eine ganz große Rolle. Das ist fast wie ein zweiter Charakter in dem Film. Ich hatte in das Buch reingeschrieben, dass die Familie wie in einer Festung wohnt. Leider waren die Innenräume sehr klein. Das haben wir aber gut in den Griff bekommen. Ich wollte eine Umgebung, in der man das Gefühl hat, ein junger Mensch will da eigentlich weg.
Hattest du von Anfang an Tobias Moretti als schizophrenen Familienvater für die Rolle vor Augen?
Christian Bach: Ich habe beim Schreiben keinen konkret vor Augen gehabt. Eher Leute aus der Wirklichkeit. Ich wollte immer jemanden für die Rolle haben, der nicht schon per se das Opfer ist. Ich wollte einen kernigen Mann. Schizophrenie trifft eben nicht immer nur die Schwachen, bei denen man denkt, die haben sowieso einen Schaden. Es kann auch richtig gestandene Kerle betreffen. Das finde ich viel spannender. Der Produzent Andreas Richter hat dann Tobias Moretti vorgeschlagen. Die Rolle war eine Herausforderung, da er sehr uneitel sein musste und nicht immer sehr vorteilhaft aussieht, wenn er in der Psychose völlig unrasiert und mit verquollenen Augen auftritt. Das war ein Punkt, wo ich sichergehen wollte, dass er relativ weit dafür gehen würde. Und das war nach ein paar Treffen klar.
Herr Moretti, wie haben Sie reagiert, als Sie das erste Mal das Buch gelesen haben?
Tobias Moretti: Ich habe das Buch geschickt bekommen und habe gedacht, wow, das ist ein unglaublicher Stoff. Aber es ist nicht leicht, diesen Stoff zu vermitteln und in eine cineastische Qualität zu bringen. Christian und ich haben uns bei unserem ersten Treffen relativ schnell in das Thema vertieft. Der dramaturgische Bogen der Geschichte war für mich aber noch zu fernsehrealistisch. Ich habe mich beim Lesen nicht so damit anfreunden können, weil es sehr klar ausdefiniert war. Aber ich habe relativ schnell gemerkt, dass die Geschichte einen Zug hat und Christian nicht locker lässt. Das ist immer sehr gut, weil Kinofilme und Spielfilme einfach einen anderen Puls brauchen. Ich war fasziniert von der Aufgabe als Schauspieler, so einen Charakter zu spielen, der sich aus einer scheinbaren Normalität so ins Absurde entfesselt.
Wie haben Sie sich auf die Figur des Vaters vorbereitet?
Tobias Moretti: Ich habe mich zunächst mit der pathologischen Situation beschäftigt. Das war ja sowieso Hausaufgabe. Es war auch gar nicht so leicht, zur Vorbereitung Zugang zu einem Krankenhaus zu finden, um diese Menschen zu beobachten und mit ihnen zu sein. Schon unglaublich, wie klar diese Menschen gedanklich sind, die auch jeder sozialen Schicht und jedem Beruf angehörten. Du weißt in dieser Abteilung aufgrund der Unterhaltung nicht, wer Arzt und wer Patient ist.
Das andere war, in der Vorbereitung den Moment zu finden, in dem das Gemüt des Vaters kippt. Das ist für uns Schauspieler im Dramatischen interessant. Wie erzählt man so eine Geschichte? Die Geschichte bezieht sich ja nicht auf den Vater und seine Krankheit. Die Geschichte dreht sich um den Sohn und den Vater, die Familie, das normale Leben. Überhaupt geht es um die Schizophrenie des normalen Lebens an sich, wo du zeitweise nicht mehr weißt, ob die Nachbarn jetzt die Verrückten sind oder der Vater. Für mich war es sehr interessant, diesen grausamen Punkt im Leben zu erarbeiten.
Sie haben in letzter Zeit viel in Bayern und München – zuletzt standen Sie als Luis Trenker vor der Kamera. Wie gefällt Ihnen München bzw. Bayern als Drehort?
Tobias Moretti: Ich finde gut, dass sich der Fokus wieder nicht mehr nur allein auf Berlin beschränkt. Ein Vierergestirn wäre das Ideale: Berlin, Hamburg, Köln und München. Da ich über 10 Jahre an den Kammerspielen in München war und auch noch Theater dort spiele, kenne ich die Stadt sowieso sehr gut
Auf dem Foto: Regisseur Christian Bach (links) und Hauptdarsteller Tobias Moretti
Sehr interessanter Artikel. Hoffe Sie veröffentlichen in regelmäßigen Abständen solche Artikel dann haben Sie eine Stammleserin gewonnen. Vielen dank für die Informationen.
Gruß Anna