Zum dritten Mal lud der FFF Bayern zu einer Exkursion der bayerischen Gamer-Szene. Auf einer „Monster-Bergtour“ zur Rotwand mussten die Tücken der Wildnis überwunden und das Herz einer Ministerin erobert werden.
Hätte Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner all die Wünsche, die ihr von den Teilnehmern der „Monster-Bergtour 2014“ vorab zugetragen worden waren, in ihrem Rucksack verstaut gehabt, vermutlich wäre sie unter der Last zusammengebrochen.
Zum einen erwarteten ihre künftigen Bergkameraden aus der Games-Branche selbstverständlich mehr Subventionen, Steuer-Erleichterungen und maximale Unterstützung im internationalen Wettbewerb. Doch das war längst nicht alles. Auch mehr Einmischung des Freistaats in die europäische Medienpolitik wurde gewünscht, im Kampf gegen die als schädlich empfundene Deckelung der Fördergelder, im Kampf um neue Fördertöpfe für interaktive Medienformate an der Schnittstelle zu Film und Journalismus.‘
Zu Hause in Bayern solle die Ministerin derweil die Eltern und die Gesellschaft insgesamt darüber aufklären, wie pädagogisch und kulturell wertvoll Computerspiele seien und sich kraftvoll gegen das stigmatisierende Gewalt-Image stemmen. Immerhin, so hatte Ilse Aigner in den Tagen vor der „Monster-Bergtour“ zu lesen bekommen, hätten sich Videospiele längst zum „kulturellen Leitmedium des 21. Jahrhunderts“ entwickelt.
Und weil dem so sei, möge sie auch gleich noch mehr Lehrstühle und Ausbildungsangebote für Spieleentwicklung schaffen, branchenübergreifende Veranstaltungen und Messen fördern, die Breitbandanbindung außerhalb der großen Städte beschleunigen, zusammen mit ihrer Regierung Games-Firmen in ganz Bayern besuchen und anschließend intensiv Pressearbeit betreiben, aus der ein klares Bekenntnis der Regierung zur Games-Branche hervorgehe.
War es das? Nein. Einer schrieb: „Immer locker bleiben, das wird schon.“
„Immer locker bleiben“ – das war auch das Motto auf der Anreise zum Spitzingsee an diesem regnerischen Juli-Donnerstag. Oberhalb von 1000 Metern sei man in Bayern per Du, ließ Anette Lenz vom „Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie“ die im Bus versammelten 50 Gamer und Kreativen, Filmförderer und Banker wissen. Sollten sie sich also später erfolgreich zum 1737 Meter hoch gelegenen Rotwandhaus durchschlagen, sei Frau Ministerin Aigner einfach nur „die Ilse“.
Bald tauchte die Taubensteinbahn im Nebel auf: Leere, tropfende, grüne Gondeln, die tatenlos in der verwaisten Talstation baumelten. Und samt Gamer-Elite schon wenig später über Kiefernwipfel hinweg in eine verwunschene, in dicke Wolken gehüllte, graue Bergwelt entschwebten.
Die „Monster-Bergtour“, ließ sich an wie eine Episode aus dem mit Preisen überhäuften Spiel „The Last Tinker“ von Mimimi Productions. Level eins: Bächlein überwinden, die sich in Sturzbäche verwandelt hatten und Muren auszulösen drohten, aber dabei den Pfad durch den Nebel niemals aus den Augen verlieren. Links und rechts gähnten graue Abgründe.
Level zwei erreichten die Teilnehmer an den felsigen Flanken des Taubensteins. Der Pfad hatte sich in einen knöcheltiefen Sumpf verwandelt, hunderte Kuhfladen bedrohten zusätzlich das zum Teil nagelneue Schuhwerk. In tollkühnen Ausfallschritten kamen die einen voran, andere schlugen sich durch das Latschendickicht am Hang. Manche zerstörten die feindlichen Kuhfladen mit einem schmatzenden Tritt.
Was freilich die Verursacher der Fladen auf den Plan rief. Auf Level drei, schon 1750 Meter über dem Meer und außerhalb jedes Handynetzes, blockierte eine kampflustige Kuhherde den nun wieder sehr schmalen Pfad. Diese musste durch Schreie, Schläge, Wanderstockhiebe oder auf jede andere fantasievolle Weise aus dem Weg geräumt werden – eine Aufgabe, die Klaus Schaefer, der Geschäftsführer des FFF Bayern, eindeutig am effektivsten bewältige.
Weshalb er als Erster auf Level vier angelangte: Lange vor dem Eintreffen von „Ilse“ galt es, sich im Rotwandhaus an der einzigen Ausgabestelle von Nahrung gegen alle hungrigen Gamer und sonstigen Bergsteiger durchzusetzen. Mit einem Linseneintopf in den Händen und einem zufriedenen Lächeln im Gesicht nahm „der Klaus“ auf einer Holzbank Platz und harrte seiner Mitspieler. Bald saßen sie alle da und dampften vor sich hin, aßen Linsen, saure Nieren oder Kässpatz’n und warteten auf die Ministerin.
Zuvor war freilich noch Level fünf zu bewältigen. Zwei NPCs in Form zweier als Bergsteiger getarnter Herren vom Landeskriminalamt erwiesen sich dabei als ziemlich ungefährliche Gegner. Sie überprüften mit unauffälligem, aber strengem Blick alle Wanderer in den Gasträumen der Alpenvereinshütte und nahmen dann dezent an einem leeren Tisch Platz.
Endlich, um 13.50 Uhr, glitt ein geländetauglicher, silbergrauer Nissan durch die Wolkendecke, und Ilse Aigner, braune Leder-Bergstiefel, beige, knielange Wanderhose, blaue Allwetterjacke, nahm die Stufen zum Eingang. Level sechs sah vor, „die Ilse“ zunächst mit Kaffee und Käsekuchen milde zu stimmen, um ihr dann Zugeständnisse für die Games-Industrie zu entlocken.
Während die Ministerin den Kuchen aß, stellte ihr die FFF-Förderreferentin für Games, Michaela Haberlander, die Anwesenden vor. Was Haberlander zuvor im Bus noch alphabetisch von „Aesir Interactive“ bis „www.handy-games.com“ souverän präsentiert hatte, musste sie nun von Tisch zu Tisch improvisieren, denn längst waren firmenübergreifende Seilschaften entstanden. Manche Erfolgsgeschichte aus der so jungen Branche kommentierte „die Ilse“ mit einem nach oben schnellenden Daumen. Manchmal lobte sie mit einem kurzen „Super!“. Oder einem „Cool!“.
Die Staatsministerin, das bemerkten die Gamer rasch, war trotz schlechten Wetters bester Laune. Sie spendete sogar Beifall, als die Sponsoren der „Monster-Bergtour“ genannt wurden: Anwaltskanzlei „SKW Schwarz“, hatte die Busfahrt finanziert, Firma „Reality Twist“, die Seilbahn bezahlt. „Teamspeak“, „FFS Synchron“ sowie die „LfA Förderbank Bayern“, würden später noch das Abendessen im Arabella Alpenhotel am Spitzingsee spendieren. Dass es dort Kalbsschnitzel in Parmesan-Eihülle auf fruchtigen Tomatenspaghetti oder Limonenrisotto mit Ricotta und gebackenem Rucola geben würde, blieb der Ministerin verborgen.
Dann, der Käsekuchen war verspeist, wurde es ernst. Level sechs. Geduldig hörte sich „die Ilse“ noch einmal alle Wünsche an, die ihr über denn FFF vorab übermittelt worden waren, obwohl sie diese, das bewiesen ihre Nachfragen, gründlich gelesen hatte. Ebenso geduldig nahm sie zur Kenntnis, dass die Gamer-Szene keineswegs nur einheitliche Interessen verfolgt. Während den einen die staatliche Förderung über den FFF sehr wichtig und allenfalls zu gering war, wünschte sich andere stattdessen klassische Wirtschaftsförderung ohne kulturpolitischen Hintergrund. Und während die erfolgreichen Firmen die oftmals geringen Förderbeträge als untauglich betrachteten, lobten viele kleine deren positive Auswirkungen für Newcomer in der Szene.
Ilse Aigner erhob sich. „Ich bin im positiven Sinne sprachlos“, sagte sie, und ergänzte: „Offen und ehrlich: Ich habe nicht die Zeit gehabt, mich ausreichend in Ihr Gebiet einzuarbeiten, um auf Augenhöhe mit Ihnen zu kommunizieren.“ Punkt für Punkt und sehr konkret arbeitete sie sich dann dennoch durch den Katalog der Wünsche. Verwies auf 10.000 Quadratmeter Büro- und Kreativflächen im Münchner Werk 1, versprach mit Klaus Schaefer noch einmal über die Höhe der Games-Förderung durch den FFF zu sprechen, kündigte an, Messe-Auftritte zu unterstützen. Steuererleichterungen aber, da bitte sie um Verständnis, seien Bundesangelegenheit, das könne Jahre dauern und zudem mit EU-Recht kollidieren.
Abschließend versprachen alle einander, sich bald wieder zu treffen, vielleicht sogar einen Beirat zu gründen, welcher der Games-Branche regelmäßig direkt im Ministerium Gehör verschaffen könne. Worte wie „Standort“ und „Arbeitsplätze“ hallten noch durch das Rotwandhaus, da eilte „die Ilse“ schon von Tisch zu Tisch, um Gruppen-Selfies zu zieren. Keine zwei Stunden waren vergangen, als der silbergraue Nissan wieder den Berg hinunterrollte.
Und siehe da, die Wolken hatten sich verzogen, die Hänge waren plötzlich grün, die Bergblumen leuchteten gelb und rot. Keine Ausreden mehr, die Monster-Bergtour doch noch auf dem Gipfel enden zu lassen. Um 16 Uhr standen Klaus Schäfer und etwa die Hälfte der mitgereisten Gamer-Szene Bayerns auf der 1885 Meter hohen Rotwand. Sogar Level sieben war geschafft.
Text und Bild: Peter Linden