Die Tellux-Gruppe geht im Rahmen der verstärkten Serienaffinität in Deutschland neue Wege und entwickelt eine Mystery-Serie in einem vierköpfigen Writers´ Room. Ein Gespräch mit den Produzenten Philipp Schall und Wiebke Esser sowie dem Head-Autor Benjamin Gutsche über das Konzept, die Arbeit im Writers´ Room und deutsche Legenden.
Wie kam es dazu, dass die Tellux-Film einen Writers´ Room zur Entwicklung einer neuen Serie eingeführt hat?
Philipp Schall: Die Tellux-Film hat in der Vergangenheit viele große Serien produziert, wie zum Beispiel „Irgendwie und Sowieso“ oder „Die Löwengrube“. Wir wollten diese Tradition verstärken und versuchen, damit unser Profil zu schärfen. Serien sind starke Erzählweisen, die wir für den Fernsehmarkt anbieten möchten.
Was sind die Vorteile eines Writers´ Room?
Wiebke Esser: Das Writers´ Room Prinzip ist daraus entstanden, dass man eine bestehende Serie hat und schnell viele Drehbücher geschrieben werden müssen. Darum ging es uns aber nicht. Uns ging es darum, die Synergien eines Writers´ Rooms zu nutzen: Dass viele Autoren mit verschiedenen Lebenshintergründen andere Sichtweisen haben und in verschiedenen Genres spezialisiert sind und ihre Ideen zusammenbringen. Aber eben auch, dass man als Autor eng mit der Produktion zusammenarbeitet und schaut, was auf dem Markt gerade gesucht wird.
Benjamin, du wurdest als Head Autor für die Serie ausgewählt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Tellux-Film?
Benjamin Gutsche: Meine Agentur PageMagnet wurde angefragt und hat meinen Pitch an die Tellux- Film weitergeleitet. Wenige Tage später erhielt ich einen Anruf, dass großes Interesse besteht. Ich habe den Pitch damals sehr unabhängig geschrieben, ganz ohne Hintergedanken an Produktionsfirmen oder Sender. Mit Philipp Schall und Johanna Teichmann habe ich mich dann in München getroffen und über die Möglichkeiten eines Writers´ Rooms und eine inhaltliche Weiterführung des Pitches gesprochen. Wir sind schnell auf einen gemeinsamen Nenner gekommen.
Du arbeitest mit mehreren Autoren an dem Stoff. Kanntest du das Team schon vorab?
Benjamin Gutsche: Tatsächlich haben wir ganz neu nach einem Team gesucht. Das Genre Mystery-Crime ist in Deutschland noch nicht stark verwurzelt, dass man auf bestimmte Autoren zurückgreifen kann. Wir haben überlegt, welche Zusammensetzung es spannend macht, so dass man verschiedene Perspektiven beleuchtet. Der eine Autor ist stark in der Figurenentwicklung, der andere im Plot Points kreieren. Danach haben Wiebke und ich in Abstimmung mit Philipp und Johanna in München geschaut und uns mit verschiedenen Autoren getroffen und Leseproben verschlungen. Letztendlich kannte ich die Autoren nicht, aber es war ein voller Erfolg, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Gibt es keine Meinungsverschiedenheiten unter euch?
Benjamin Gutsche: Wie immer in einem kreativen Prozess gibt es auch Meinungsverschiedenheiten, aber das macht es gerade so spannend. Man muss dann umso genauer schauen, wie stark die Argumente für oder gegen etwas sprechen. Natürlich gibt es auch Streitigkeiten, aber das ist kein persönlicher Streit, sondern einer über das kreative Potential. Das ist sehr konstruktiv. Wir gehen auch manchmal raus und sind sauer auf den anderen. Aber spätestens zum Mittagessen oder Feierabend umarmen wir uns wieder.
Wiebke Esser: Das gute an den Hierarchien im Writers` Room ist auch, dass Benjamin alle Kritik aufnehmen und letztendlich alleine über eine zu seiner Vision passenden Lösungen entscheiden kann.
Seid ihr als Produzenten auch im Writers´ Room anwesend?
Wiebke Esser: Ich bin im Writers´ Room anwesend. Das ist so entstanden, da ich Erfahrung in dem Bereich habe. Es gibt unter den Autoren Dynamiken, so dass ich versuche, mich eher zurückzuhalten. Es gibt jeden Tag ein Protokoll, das Philipp in München überwachen und sehen kann.
Welche Erfahrungen habt ihr auf dem Gebiet bereits gesammelt?
Benjamin Gutsche: Ich saß vor zwei Jahren schon einmal in einem Writers´ Room von „Armans Geheimnis“, einer Fantasy Serie, die auch in der ARD lief. Ich habe als Autor dafür geschrieben und den gesamten Prozess des Writers´ Room live miterlebt. Dieser Writers´ Room hier ist der erste, in dem ich als Head Autor sitze. Bei Wiebke ist es noch einmal eine andere Geschichte.
Wiebke Esser: Ich habe das Programm Serial Eyes der dffb in Kooperation mit der London Film School gemacht. Das ist ein neunmonatiges internationales Programm, das sich an junge Producer und Autoren richtet. Dort haben wir im Writers´ Room zusammengesessen und unsere eigenen Projekte entwickelt, aber auch viele Writers´ Rooms besucht. In London und L.A. haben wir reinschnuppern dürfen, wie dort die verschiedenen Methoden praktiziert werden.
Für die neue Serie habt ihr euch entschieden, nach der skandinavischen Two-Visions Methode zu arbeiten.
Wiebke Esser: Das Ziel am Ende dieser drei Monate ist ein Pilotdrehbuch. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es noch nicht so, dass jeder Autor eine Episode schreibt, sondern schreibend tatsächlich nur Benjamin tätig ist. Die konzeptionelle Entwicklung der Serienidee nach dem dänischen Prinzip mit einer frühen Zusammenarbeit von Autoren und Produktion macht für uns besonders Sinn.
Worin besteht der Unterschied zum amerikanischen Modell?
Wiebke Esser: Auf die Spitze getrieben ist das amerikanische System so, dass zeitweise 30 Autoren im Writers´ Room sitzen, wie zum Beispiel bei „Big Bang Theory“. Von diesen 30 Autoren dürfen drei tatsächlich nur etwas sagen. Aber trotzdem schreiben diese 30 Autoren Satz für Satz an der Serie und schauen ganz genau, ob jedes Wort, jeder Gag passt. Bei uns ist es eher ein Brainstorming Room, um Ideen zusammenzubringen und eine Welt aufzubauen. Dahingehend orientiert sich auch das skandinavische System: Zusammen mit der Produktionsfirma zu gucken, was ein interessantes Paket ergibt und dieses zu entwickeln.
Die Serie basiert auf Legenden. Welche Legenden werden erzählt und was waren die Auswahlkriterien?
Benjamin Gutsche: Wir sind noch in einem Prozess, deswegen möchte ich mich nicht auf bestimmte inhaltliche Ergebnisse, die wir schon entschieden haben, festlegen. Aber wir können sagen, dass wir ein Anthologie-Konzept verfolgen. Jede Staffel erzählt in sich abgeschlossen einen bestimmten Fall. Wir orientieren uns an deutschen Legenden, wie zum Beispiel den Fall Hinterkaifeck in München oder den Blocksberg mit dem Mysterium der Hexen und Hexenverbrennung. Wir setzen diese Geschichten in die Gegenwart und erzählen einen Kriminalfall, der sich nach und nach in einem Mysterium auflöst.
Wiebke Esser: Die Anthologien werden sehr regional sein. Wir zeigen ein tiefstes Deutschland, was man oft noch nicht gesehen hat. Bei Vorabendserien spielt sich alles immer plakativ in Berlin oder München ab. Wir wagen uns in ein verlassenes Terrain und finden es spannend, dass der Ort mitschwingt.
Was ist für euch das erfolgsversprechende am Anthologie-Modell?
Benjamin Gutsche: Ich bin mit dem amerikanischen Age of Television aufgewachsen und finde das Prinzip spannend, da ich es in Deutschland so noch nicht gesehen habe. Ich finde es toll, dass man verschiedene Fälle über eine Staffellaufzeit erzählen kann und sich nicht dauerhaft an einem Ort aufhält, der eventuell auch irgendwann die Geschichten nicht mehr hergibt. In jeder Staffel kann man einen neuen Fall erzählen und relativ frei mit unseren Protagonisten umgehen. Man muss unsere Hauptdarsteller nicht über vier Staffeln am Leben halten, damit die Serie weiter funktioniert. Wir sind dadurch dramaturgisch viel freier, was für mich interessant ist. Es gibt ein klares Ziel am Ende einer Staffel.
Wiebke Esser: Die Tonalität bleibt trotzdem für den Zuschauer erhalten, der sich dann in einen neuen Fall stürzen kann.
Benjamin Gutsche: Es ist auch abwechslungsreicher. Wir können jedes Mal etwas Neues bieten, weil wir mit neuen Protagonisten an neuen Orten wieder eine Legende erzählen können.
Philipp Schall: Genau, und damit wollen wir auch ein Label etablieren, das man auch gut verwerten kann: „German Legends“.
Plant die Tellux-Film weitere Writers´ Rooms?
Philipp Schall: Wir fangen in Kürze in München mit dem nächsten Projekt an. Das wird eher eine historische Dramaserie werden, die im Früh-Mittelalter spielt.
Wiebke Esser
Philipp Schall
Bild oben: Benjamin Gutsche während der Arbeit im Writers´ Room
Liebe Julia Wuelker, ich bin Schauspieler und habe ihr Interview mit Begeisterung gelesen.
Ich passe sehr gut in dieses Genre. Ich werde mich bei Philipp Schall und Wiebke Esser vorstellen. “ Die Krone von Arkus “ , ein Fantasy , Märchen Film, Genre Mittelalter, kommt diesen Herbst mit mir in die Kinos. Danke für die erfreuliche Information. Ulrich Günther
Lieber Ulrich Günther, das freut mich sehr, dass Ihnen das Interview gefallen hat. Vielen Dank für die positive Rückmeldung.
Viel Erfolg!