Am 25. Juni beginnt das Filmfest München. Ein Bestandteil des Programms ist die Reihe Neues Deutsches Fernsehen mit besonderen, innovativen Fernsehfilmen namhafter Regisseure. Ein Interview mit der Kuratorin Ulrike Frick über die Qualität des deutschen Fernsehens, persönliche Highlights und Neuerungen im Programm.
Über die Qualität des deutschen Fernsehens wird viel gejammert. Teilen Sie diese Ansicht?
Ich bin überzeugt davon, dass das innovative, sehenswerte Fernsehen sich nicht mehr verstecken muss. Die Leute meckern immer übers Fernsehen und haben wahrscheinlich kaum mehr einen Fernseher zu Hause, um das beurteilen zu können. Ich bin der Meinung, Fernsehen wird nicht schlechter. Ich bin ein Freund und Unterstützer des Fernsehens als solches. Das Problem ist, dass sich die Leute zu wenig an Kritiken oder Besprechungen orientieren.
Wie versuchen Sie, das Filmfest-Publikum für das deutsche Fernsehen zu begeistern?
Ich setze immer auf das Aha-Erlebnis. Die Branchen-Interessierten und das Fachpublikum sehen die Filme unter ganz anderen Gesichtspunkten. Das restliche Publikum ist aber noch form- und belehrbarer, was Fernsehfilme angeht. Deswegen bemühe ich mich, Leute in einen Film wie zum Beispiel „Luis Trenker“ von Wolfgang Murnberger reinzuziehen, um ihnen zu zeigen, wie toll der jeweilige Film ist und dass es von diesen sehr guten Fernsehfilmen noch jede Menge gibt. Man muss sie nur im Programm entdecken.
Was zeichnet die Reihe Neues Deutsches Fernsehen des Münchner Filmfest aus?
Die Rahmenbedingungen sind durch den Bernd Burgemeister Preis sehr klar vorgegeben. Der Preis ist ein Produzentenpreis. Für die Jury geht es in erster Linie also um die Produzentenleistung, die zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus sollen es Fernsehspiele sein, bei denen das Fiktionale mindestens 60 bis 90 Minuten Raum haben soll. Die ganzen Serien, fallen somit aus dem Programm. Ich suche Filme aus, die ich qualitativ hochwertig und originell finde und die man gerne auf einer großen Leinwand sehen möchte. Das bedeutet natürlich auch immer, dass sie auf eine bestimmte Weise schon technisch recht versiert gemacht sein müssen.
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob die Filme für das Filmfest-Programm geeignet sind?
Ich bemühe mich letztlich darum, dass das Programm aus einer bunten Mischung besteht. Mein Anspruch ist, dass ich ein Programm zusammenstelle, das viele Zuschauer anzieht, die nicht nur aus der Branche stammen und sich ohnehin für die Fernsehreihe des Filmfests München interessieren. Mir geht es darum, Filme mit einer gewissen Strahlkraft unterzubringen, die sich jemand vor dem Sendetermin anschauen möchte. Es gibt Filme, da weiß man sofort, dass sie ins Programm passen. Das ändert sich dann meistens auch nicht mehr. Der erste Eindruck ist aber vielleicht bei zwei Filmen pro Jahr so klar. Bei den anderen lasse ich das gerne sacken. Wenn ich mich nach ein bis zwei Tagen noch problemlos an Szenen erinnern kann, dann hat der Film genügend Widerhaken entwickeln können. Ich habe die Freude und das Glück, dass ich alles ansehen darf. Nur am Ende muss ich diese quälende Auswahl treffen. Denn jede Entscheidung für einen Film ist eine gegen einen anderen.
Wie groß ist die Auswahl in diesem Jahr gewesen?
Im Schnitt gibt es jährlich um die 300 neuen Produktionen im Fernsehen. Davon sehe ich ungefähr ein Drittel.
Das TV-Programm beim Filmfest München überzeugt durch hochwertige Produktionen, die vom Publikum gefeiert und mit Preisen ausgezeichnet werden. Oft erreichen diese Filme bei der TV-Ausstrahlung aber nur wenige Zuschauer, wie zum Beispiel „Landauer“. Wie erklären Sie sich das?
Das habe ich ehrlich gesagt noch nie so weit hinterher verfolgt. Ich registriere, dass der Tatort „Im Schmerz geboren“ zum Beispiel eine unglaubliche Erfolgsstory hatte, die nicht mehr aufzuhalten war. „Landauer“ wiederum war auf dem Filmfest im letzten Jahr der Knaller. Den hätten wir fünfmal zeigen können. In diesem Fall vermute ich, dass man den Fokus zu sehr auf den FC Bayern gesetzt hat. Bei vielen anderen Filmen, wie zum Beispiel „Männertreu“ von Hermine Huntgeburth, war von Anfang an klar, dass dieser kleine feine Film nicht in so einem medialen Rauschen vermarktet werden kann, wie ein Event-Zweiteiler, der sich mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beschäftigt. Es geht oft ein medialer Lärm voraus, der dem einen Film hilft, anderen Produktionen allerdings nicht nützen kann.
Viele ausgezeichnete Produktionen im Programm kamen in den letzten Jahren vom HR. Dieses Jahr ist kein einziger Film dabei.
Ich gestehe, dass ich einen HR-Tatort mit Ulrich Tukur, den ich sehr originell und witzig fand, in der engen Auswahl hatte. Das wäre aber der einzige Reihen-Krimi im diesjährigen Programm gewesen. In diesem Jahr war mir das eine ganz willkommene Argumentation, dieses Jahr eine Reihe ohne einen Reihen-Krimi zu machen. Die Häufung von Krimis wurde von der Jury in den vergangenen Jahren immer ein wenig bemängelt. Die Produzentenleistung ist dort am wenigsten zu erkennen, hieß es immer wieder von der Jury, weil die Vorgabe so starr ist. Wobei man bei dem letzten HR-Tatort „Im Schmerz geboren“ sehen kann, was man aus den starren Vorgaben rauszaubern kann. Die Auswahl wird der Jury aber trotzdem nicht leichter fallen, wenn kein Krimi dabei ist.
Die Reihe „Neues Deutsches Fernsehen“ besteht seit mehr als 20 Jahren. Wie hat sie sich über die Jahre entwickelt und verändert?
Ich mache die Arbeit seit 2007 und finde, allgemein werden die Filme immer besser. Die Auswahl ist jedes Jahr schwieriger zu treffen. Früher haben auch Privatsender ihre Stoffe eingereicht, was jetzt eigentlich nie mehr der Fall ist. Das bedauere ich. Es gibt ja keinen Grund, warum ich von Sat.1 oder ProSieben einen Film nicht zeigen sollte.
Vielleicht gibt es eine Verfeinerung, was Einzelstücke angeht. Die Einzelstücke und die Reihen-Krimis wurden über die Jahre immer besser und aufwendiger gemacht. Ich finde, dass der Unterschied zwischen Fernsehen und Kinofilm sukzessive verschwindet. Mit den Jahren hat bei den Sendern und Produktionsfirmen auch ein gewisser „Lernprozess“ stattgefunden. Typische Sonntagabend ZDF-Fernsehfilme bekomme ich zum Beispiel gar nicht mehr zugeschickt.
Was sind Ihre Highlights aus dem diesjährigen Programm?
Das ist eine miese, ungerechte Frage (lacht). Was ich interessant fand, weil anders, ist zum Beispiel so ein Film wie „Sara Stein – Shalom Berlin“ von Matthias Tiefenbacher über eine deutsch-israelische Kommissarin in Berlin. So fein ziselierte Fernsehspiele wie „Pampa Blues“ von Kai Wessel mag ich gerne, wo man ganz begeistert zusieht, wie sich vor einem ein Mikrokosmos auftut, an dem sich ganz viel Leben erklären lässt. Einer meiner Lieblingsfilme ist ohne Zweifel „Im Zweifel“ von Aelrun Goette, auch wegen der Figurenkonstellation. Mein absoluter Lieblingsfilm ist „Der verlorene Bruder“ von Martin Geschonneck. Die Romanadaption von Hans-Ulrich Treichel erzählt von einer Familie, deren älteres Kind als Baby in den Kriegswirren der letzten Tage abhandenkommt und die Eltern nur noch damit beschäftigt sind, diesen Sohn ausfindig zu machen. Die Geschichte ist konsequent aus der Perspektive des jüngeren Sohnes erzählt, der damit aufwächst, dass es den ständigen Schatten dieses älteren Bruders gibt. Das ist eine irre Situation und ganz toll gespielt. So ein Film beweist mal wieder, dass das bessere Kino heutzutage im Fernsehen stattfindet.
Gibt es in diesem Jahr Neuerungen im Programm?
Die Fernsehfilme wurden bisher nur einmal gezeigt. Das hatte zur Folge, dass von den geladenen Gästen, die eine Premierenfeier haben wollten, hinterher meistens keiner mehr diskutieren wollte. Deshalb hat man es bei einer Vorführung über die Jahre belassen. Das fanden meine Kollegen bestimmt ganz gut, da dann nicht zu viele Vorstellungsplätze von Fernsehfilmen besetzt werden (lacht). Aber inzwischen wollen wir deutlich mehr Zuschauer generieren und die TV-Sektion ist immer gut besucht. Da lag es nahe, die Fernsehfilme ein zweites Mal zu zeigen. Die Wiederholung findet ausschließlich in der Vormittagsschiene im City Kino als Matinee statt. Es ist dann idealerweise noch jemand vom Team anwesend, damit diskutiert werden kann. An dem Wiederholungstermin sind die Sender auch erstaunlich interessiert gewesen, da sie in diesem Rahmen ein Feedback bekommen.
Als zweites Fernsehstandbein führen wir in diesem Jahr die Reihe „Neue Deutsche Serien“ ein. Wir wollen die Reihe behutsam etablieren und mit zwei Serien anfangen. Wir haben festgestellt, dass es zu wenig Festivals gibt, die einen deutschen Serien-Output verfestigen. In diesem Jahr haben wir uns entschieden, Serien zu zeigen, die schon bekannt sind. Wir zeigen die dritte Staffel von „Weißensee“ und die zweite Staffel von „Lerchenberg“. Als Appetit-Häppchen für alle, die nach München kommen. Künftig möchten wir aber vor allem 1. Staffeln präsentieren.
Das komplette Programm der Reihe Neues Deutsches Fernsehen sowie alle Informationen zum Filmfest München finden Sie hier.
Dr. Ulrike Frick (c) Filmfest München