„Ausreißer nach oben“ – Interview mit Ulrike Frick über die Reihe Neues Deutsches Fernsehen beim Filmfest München 2016

Die Dasslers - Pioniere, Brüder und Rivalen

Ein Gespräch über Veränderungen im Programm, Überraschungen für das Publikum und Qualitätsfernsehen.

In unserem Interview im letzten Jahr sagtest du, „das bessere Kino findet heutzutage im Fernsehen statt.“ Würdest du deine Aussage in Betracht auf das diesjährige Programm bestätigen?

Absolut. Das lässt sich aber auch durch die Einschränkungen erklären, denen die Reihe Neues Deutsches Kino unterliegt und unterliegen muss. Bei den Filmen, die um den Förderpreis Neues Deutsches Kino konkurrieren, handelt es sich um erste, zweite oder dritte Langfilme. Bei der Fernsehreihe kann ich im Vergleich dazu natürlich auf sehr arrivierte Namen zurückgreifen. Die Sender legen bei den Drehbuchautoren, Regisseuren und Schauspielern viel Wert auf bekannte Namen, weil sie zwischen dem Produktionszwang, der knappen Zeit und den Kosten gefangen sind. Deshalb werden die Projekte erfahrenen Filmschaffenden anvertraut. Matti Geschonneck ist zum Beispiel so ein Garant, der in der vorgegeben Drehzeit einen guten Film realisieren kann. Bei einem Debütanten, der wenig Erfahrung hat, ist man kritischer und auch ängstlicher.

Für viele ist der Unterschied zwischen Kino und TV ein optischer Unterschied. Das ist in Bezug auf meine Reihe Quatsch. Alle Filme belegen sehr eindrücklich das Gegenteil.

Wie hat sich die Reihe im Vergleich zum Vorjahr thematisch und formal verändert?

Ich habe mich in diesem Jahr bemüht, möglichst viele unterschiedliche Facetten zusammenzutragen. Das Programm ist vielfältiger als in den vorherigen Jahren. Auffällig ist, dass dieses Jahr historische Filme stärker vertreten sind. Seit dem Erfolg von Filmen wie der UFA-Produktion „Unsere Mütter, unsere Väter“ merke ich, dass sich die Produzenten und Sender bei historischen Filmen mehr trauen. Und das ist auch bei uns im Programm deutlich zu sehen. Zum einen bei „Die Dasslers – Pioniere, Brüder und Rivalen“, zum anderen bei „Kästner und der kleine Dienstag“. „Kästner und der kleine Dienstag“ ist ein detailgenaues Zeitporträt der frühen 1930er Jahre. Es kombiniert die Karriere von Erich Kästner vor dem Hintergrund des Dritten Reichs und zeigt, wie sich die Diktatur in den Kunst- und Literaturbereich hineinschleicht. Erich Kästner hat lange Zeit keine klare Position bezogen. Das wird im Film kritisch dargestellt.
Diese Darstellung wäre vor 10 Jahren in dieser Art und Weise noch nicht möglich gewesen. Filme wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ waren Wegbereiter für ein offeneres Bild der Zeitgeschichte. Es freut mich sehr, dass historische Filme inzwischen ernst zu nehmen sind. Man bemüht sich um einen differenzierteren Blick. Das ist ein wirklich positiver Ansatz.

„Die Schärfe liegt in der Wahrheit“ fasst du dein Programm zusammen. Ist dieser differenzierte Blick damit gemeint, oder was verbirgt sich hinter der Aussage?

Die Geschichten vieler Filme aus dem Programm werden mit einer Schärfe und genaueren Betrachtung dargestellt. Es zeichnet sich die Wahrheit und eine gewisse Härte des Alltags oder der Zeitgeschichte darin ab. Außerdem steckt in jedem Film ein Erkenntnisgewinn. Bei „Die Dasslers – Pioniere, Brüder und Rivalen“ wird zum Beispiel das Verhältnis der Brüder untereinander und zu ihrem Umfeld genau gezeigt. Ich fand es sehr erschütternd zu sehen, dass die beiden Brüder sich einen Teufel um politische Zeitläufe geschert haben. Es ging ihnen immer nur darum, Geld zu verdienen und Geschäfte zu machen.

Auch bei „Zielfahnder – Flucht in die Karpaten“ von Dominik Graf geht es zwar wieder einmal mehr, wie bei vielen Filmen von Graf, um Ermittler, Korruption und Macho-Mafia-Verschwörungen. Diesmal ist die Geschichte aber anders eingebettet. Die kulturelle Wahrnehmung von Rumänien mit seinem Alltag und den Lebensbedingungen wird berücksichtigt. Diese Betrachtung stellt einen Unterschied zu Grafs vorigen Filmen dar und ist ein weiteres Beispiel für eine differenziertere Betrachtung der Geschichte.

Der Serienhype mit hochwertig produzierten deutschen sowie internationalen Serien hält an. Haben sich die Produktionen in deiner Reihe qualitativ angepasst und können mithalten?

Man hat in einer breiteren Gesellschaftsschicht gemerkt, dass Fernsehen Niveau und Qualität bieten kann. Vorher wollte man das nicht wahrhaben. Qualität war vorher zwar auch schon da, wird aber heute mehr zur Kenntnis genommen. Das finde ich super. Vielleicht verleiht das Filmfest den Filmen, die wir zeigen, einen Schub, so dass sie anders wahrgenommen werden. Verdient haben sie es nämlich alle – genauso wie noch viele weitere, die bei uns nicht zu sehen sind.

Werden in diesem Jahr erneut Serien bei euch im Programm zu sehen sein?

Ja! Es werden zum Beispiel die ersten beiden Folgen der mit internationaler Beteiligung gedrehten Produktion „Cape Town“ gezeigt.
Von der deutsch-österreichischen Produktion „Pregau“, einem Familien/Dorfdrama, läuft die erste Folge bei uns. Maximilian Brückner spielt darin einen Dorfpolizisten, der die Tochter des reichsten Mannes im Dorf geheiratet hat. Als dieser stirbt, werden die Karten ganz neu gemischt.
Die Serie „Phoenixsee“ ist sozial betrachtet in einem ganz spannenden Milieu angesiedelt: einer schicken Neubausiedlung in Dortmund, die anstelle einer Bergbaugrube entstanden ist. Das natürliche Drumherum dieses Neubaugebiets ist eine knallharte Bergarbeitersiedlung, die stark verelendet ist. In diesem Setting treffen die neureichen jungen „Hipstertypen“, die sich in die Häuser eingemietet- und gekauft haben und mit dem Porsche Cayenne vorfahren, an bestimmten sozialen Brennpunkten wie dem Supermarkt oder dem Fußballplatz auf die Bergbaufamilien.

Die qualitativ hochwertigen TV-Filme im Filmfest-Programm, wie zum Beispiel der 2014 mit dem Bernd-Burgemeister-Preis ausgezeichnete Tatort „Im Schmerz geboren“ , begeistern zwar oft die Kritiker und Branche, werden von den Zuschauern bei der Ausstrahlung aber gespalten aufgenommen.

Es gibt genügend Zuschauer, die Produktionen, wie zum Beispiel den Tatort „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur, furchtbar finden. Nach der Ausstrahlung habe ich darüber viel Empörung gehört und vernichtende Kommentare im Internet gelesen. Diese Filme liegen mir, was den persönlichen Geschmack angeht, sehr nahe. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die breite Masse der Zuschauer das auch toll findet.
Es ist nicht verkehrt, wenn man gut gemachte Standardware im TV liefert. Fernsehen ist ein Medium für die Masse und die soll sich da auch wiederfinden. Aber es muss gelegentlich auch Ausreißer geben. Und zwar bitteschön nach oben und nicht immer nur nach unten. Und diese Ausreißer möchte ich gerne bei mir in der Reihe zeigen.

Krimis sind nach wie vor aus dem TV-Programm nicht wegzudenken und sind auch in deiner Reihe zahlreich vertreten. Hast du für deine Reihe Krimis gefunden, die das Publikum überraschen werden?

Der „Polizeiruf 110: Wölfe“ von Christian Petzold zeigt, was in dem engen Rahmen eines Reihenformates wie dem Münchner Polizeiruf mit den vielen Vorgaben, die existieren, möglich ist. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um gar keinen richtigen Krimi mehr, sondern um ein Psychodrama einsamer Leute. Deshalb kommt der Polizeiruf viel näher an die typischen Kinofilme von Petzold heran. Mit den herkömmlichen „Polizeirufen“ hat er viel weniger gemeinsam.
Ein anderes Beispiel ist der Krimi „München Mord – Wo bist du Feigling ?“. Darin wird der Fall des „Isar-Mords“ thematisiert, bei dem ein Unbekannter eine junge Frau bespuckte und dann ihren Freund, der sie verteidigen wollte, erstach. Der Täter wurde bis heute nicht gefunden. Das Drehbuch dazu hat Friedrich Ani geschrieben. Auch an diesem Krimi merkt man, was Tolles herauskommen kann, wenn die richtigen Leute an die richtigen Stellen gesetzt werden. Der Film hat eine Tiefenschärfe und Wärme – das ist bewegend.

Im letzten Jahr wurde der TV-Film „Der Fall Barschel“ mit dem Bernd-Burgemeister-Preis ausgezeichnet. Hast du einen Favoriten für dieses Jahr?

Ich fände es schön, wenn Filme wie „Goster“, eine Fusion von Real- und Animationsfilm, der Wirtschaftsthriller „Dead Man Working“ oder „Allmen und die Libellen“, nach einem Roman von Martin Suter über einen Hochstapler-Detektiv, nominiert werden würden. Diese Filme haben mir wahnsinnig gut gefallen. Einfach weil sie jeder für sich genommen etwas Neues zeigen, das so noch nicht zu sehen war.

 

Ulrike Frick

Ulrike Frick

Eine Übersicht über alle Filme der Reihe Neues Deutsches Fernsehen gibt es hier.

Der FFF Bayern ist in diesem Jahr mit den geförderten Produktionen „Die Dasslers – Pioniere, Brüder und Rivalen“ von Cyril Boss und Philipp Stennert sowie „Eine unerhörte Frau“ von Hans Steinbichler in der Reihe vertreten.

1 Antwort

  1. Bis auf wenige Ausnahmen ist das Deutsche Redakteursfernsehen provinziell, pschologisch unwahrhaftig und auf ein Renterpublikum ausgerichtet. Sendeplatzkonforme Meterware mit den immer gleichen Gesichtern. Ich kenne niemanden unter vierzig der diesen Ermittlerschwachsinn überhaupt guckt. Was gibt es denn dauernd zu ermitteln und Geschichte nachzuerzählen?

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