Helena Hufnagel hat mit ihrem Debütfilm „Einmal bitte alles“ ein Gefühls-Portrait der Generation Y geschaffen, das beim Filmfestival Max Ophüls Preis im Wettbewerb Premiere feiert. Ein Gespräch über Träume und Ziele der Millenials, Parallelen zu F. Scott Fitzgeralds Roman „Die Schönen und Verdammten“ sowie Münchens Aufgabe als Stadt, sich seine kreativen Orte zu bewahren.
Dein Film trägt den Titel „Einmal bitte alles“ und handelt von der Generation Y, den sogenannten Millenials. Ist diese Generation verdammt, da sie den Hals nicht voll genug bekommen kann und alles will?
Helena Hufnagel: Der Titel „Einmal bitte alles“ spiegelt gut wider, wie sich die Hauptfigur Isi fühlt. Sie wandert durch die Geschichte, ist auf der Suche nach sich selbst und will alles gleichzeitig vom Leben.
Ist der Film ein Generationenporträt?
Ich wollte kein Generationsporträt machen, sondern eher ein Gefühls-Portrait, einen Film über ein bestimmtes Lebensgefühl. Der Film geht um viel mehr – um Träume, Glück, Freundschaft. Das sind zeitlose Themen, die jede Generation auf ihre eigene Art und Weise beschäftigen.
Du bezeichnest das Genre deines Films als neues Coming-of-Age-Age. Was ist damit gemeint?
Meiner Meinung nach hat sich das Erwachsen werden auf „Ende zwanzig“ verlagert. In Coming-of-Age-Filmen geht es ums Erwachsen werden mit sechzehn. In unserem Coming-of-Age-Age geht es um das Erwachsen werden Ende zwanzig. Mit sechzehn hat man einen Freifahrtsschein und wird als Teenager behandelt. Aber mit Ende zwanzig hat man den nicht mehr. Man ist auf sich allein gestellt und der Rechtfertigungsdruck ist viel größer. Man fragt sich, ob die eigenen Träume irgendwann ein Ablaufdatum besitzen und versucht sie zu realisieren, bevor es peinlich wird. Deswegen ist es ein Coming-of-Age-Age oder Coming-of-Age-Late-Film.
Kennst du dieses Gefühl, das Zweifeln und Grübeln über das Erwachsenwerden und den richtigen Lebensentwurf auch?
Als wir den Film geschrieben haben, waren wir 27. Wir haben uns so orientierungslos gefühlt, als würden wir ein zweites Coming-of-Age mit sechzehn erleben. Ich habe mich damals der Hauptdarstellerin mit ihren Zielen und Träumen sehr nah gefühlt. Wie unter einer Glasdecke: oben spielen alle und man selbst will auch so gerne! Isi sagt ja auch in dem Film, dass sie gerne die Chance hätte zu zeigen, was sie kann. Genauso habe ich mich auch gefühlt. Ich wollte einfach gerne zeigen, welche Filme ich machen will. Und diese Chance habe ich bekommen und bin sehr dankbar dafür. Danke (lacht).
In deinem Film werden immer wieder Passagen aus dem Roman „Die Schönen und Verdammten“ von F. Scott Fitzgerald als voice over vorgelesen. Was hat der Roman von 1922 mit der Generation Y zu tun?
Fitzgerald beschreibt in dem Buch die Generation Lost. Der Generation Lost wurde vorgeworfen, respektlos zu sein. Und uns ist aufgefallen, dass diese verdammt viele Ähnlichkeiten mit der Generation Y hat. In dem Buch geht es um ein Paar – nicht wie in unserem Film um eine Freundschaft – deren Leben eine einzige Party ist. Als ich das Buch gelesen habe, konnte ich gar nicht mehr aufhören, die Sätze zu unterstreichen, weil einfach so viele Parallelen zu unserer Zeit darin verborgen sind.
Wann ist dir der Roman für deine Geschichte aufgefallen?
Sina Flammang, unsere Drehbuchautorin neben Madeleine Fricke, kannte den Roman. Als wir ihn zusammen gelesen haben, wussten wir, dass wir daraus etwas machen mussten. Es passte so gut zu unserer Geschichte. Wir konnten uns lange nicht entscheiden, welche Zitate wir daraus nehmen sollten.
Die ausgewählten Zitate wurden dann von Jessica Schwarz eingesprochen.
Ja! Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass sie perfekt dafür passt und habe ihre Agentur vier Monate lang genervt (lacht). Jessica Schwarz hat etwas ganz nostalgisches und sinnliches, wie man ja an Filmen wie „Romy“ gesehen hat. Man hört ihr wahnsinnig gerne zu. Das Thema „es schaffen zu wollen“ hat ja auch viel mit der Innenwelt des Helden zu tun. Das ist erstmal wahnsinnig universell. Die Fitzgerald-Zitate bringen das inhaltlich auf den Punkt. Und Jessica Schwarz hat dieser Innenwelt von Isi eine Stimme gegeben und den Effekt total unterstützt.
Die Szenen, in denen die Zitate aus dem Roman vorgelesen werden, haben einen ganz besonderen Look.
Wenn man heute ein Foto macht, legt man sofort einen Filter drüber, d.h. man verschönert sich seine Realität und verwandelt sie sofort in ein nostalgisches Bild und klammert sich daran. Unser Look unterstützt genau dieses Gefühl. Unsere Szenenbildnerin Deborah Reischmann und Kostümbildnerin Stefanie Hamann haben das Konzept mit sehr geringem Budget wahnsinnig detailverliebt umgesetzt und aufeinander abgestimmt.
Neben den Farbfiltern arbeitest du viel mit Social-Media Motiven und lässt die Figuren über Youtube, Facebook oder WhatsApp kommunizieren. Sind diese Medien ein Grund, warum sich unsere Generation zu hohe Erwartungen auflegt und sich ständig mit anderen vergleicht?
Isi stalkt permanent ihre Freundin, von der sie sich im realen Leben entfernt. Im Internet ist man sich auf einer unehrlichen Basis dann aber doch noch sehr nah. Es geht viel um Selbstdarstellung, bei der sich jeder sofort selbst zum Künstler machen kann. Ich fand es schön, dass man diese virtuelle Selbstdarstellung in Kontrast mit Werten setzt, die es nicht im App Store zu kaufen gibt, wie zum Beispiel Zuneigung oder Loyalität. Das wollte ich erzählen. Man agiert viel mit den Smartphones, kann sich aber auch stark damit emotional verletzen. Doch das echte Leben spielt sich außerhalb der Smartphones und Apps ab.
Der Film ist ein bisschen auch eine Liebeserklärung an München. Was war dir wichtig, von München zu zeigen? Wolltest du mit dem Klischee von München als Yuppie-Metropole aufräumen?
Ich komme aus dem Rheinland und lebe seit zehn Jahren in München. München habe ich immer so erlebt wie im Film – fernab der Maximilianstraße oder anderen schicken Orten. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich einfach lieber an Orten abhänge wie der Isar oder dem Königsplatz. Ich finde es immer schade, dass München so wahnsinnig auf das Klischee einer reichen, schicken Stadt reduziert wird. Es gibt an München so viele tolle Seiten: Wo kann man zum Beispiel im Sommer mitten in der Stadt im Fluss baden?
Leider verschwinden in München im Moment durch die Gentrifizierung ganz viele spannende Orte, von Clubs bis hin zu ganzen Vierteln, wie zum Beispiel das Schlachthof Viertel oder das Kultur-Gelände an der Schwere-Reiter-Straße. Andauernd hat man das Gefühl, dass die kreativen, außergewöhnlichen, nischigen Orte und Plätze immer weniger werden. Dabei muss man diese Seiten der Stadt bewahren, denn die machen für mich München aus.
Der Film wurde zu großen Teilen von Frauen realisiert. Was ist dein Rat an Filmemacherinnen, um in der männerdominierenden Regie- und Kamerawelt zu bestehen?
Das ist eine schwierige Frage. Der BR hat koproduziert, die HFF München hat unterstützt, es gab die tolle Nachwuchsförderung vom FFF Bayern. Während der letzten Jahre habe ich noch nicht viel Gegenwind als „Frau“ erfahren. Aber ich kenne die derzeitigen Debatten und unterstütze sie auch! Es kann sich beim nächsten Film ja alles ändern. Ähnlich wie Isi fühle ich mich jetzt einen Step weiter und freue mich schon auf mein nächsten Film, der auch wieder eine starke Frauen-Thematik hat. Der Rat, bei dem ich mir sicher bin, ist, dass ich weiterhin versuche, Geschichten zu erzählen, die mir am Herzen liegen.
Zum Inhalt:
Isi (27) steckt in einer ordentlichen Quater-Life-Crisis fest. Während sie an ihrem Traum, Illustratorin zu werden festhält, mutiert der Rest der Welt zu veganen Erwachsenen mit perfekten Lebensentwürfen. Nur Isi’s Träume scheinen irgendwie ein Ablaufdatum zu besitzen. Zu gerne hätte sie einmal bitte alles!
Einmal bitte alles
Regie: Helena Hufnagel
Buch: Sina Flammang, Madeleine Fricke
Produktion: filmschaft maas & füllmich GmbH, Cocofilms GmbH
Koproduktion: BR
Headerfoto: Hauptdarstellerin Luise Heyer (c) filmschaft maas & füllmich