Frauke Finsterwalders „Finsterworld“ wurde beim Montrealer „World Film Festival“ 2013 als bestes Debüt ausgezeichnet. Auch die Kritiker waren begeistert von dem Film, dessen Drehbuch Finsterwalder gemeinsam mit Christian Kracht geschrieben hat. Ein Gespräch mit der Regisseurin über den Film.
Das Deutschlandbild in FINSTERWORLD ist sehr negativ. Corinna Harfouchs Figur bringt es auf den Punkt mit dem Satz „Ich hasse Deutschland“. Wie haben die Zuschauer in Montreal darauf reagiert?
Deutschland oder Europa interessieren die Amerikaner eher weniger. Das Publikum in Montreal hat viel mehr auf die Themen reagiert, um die es im Film wirklich geht: dass man sich nicht mehr berührt, dass man einsam ist, dass man nicht in Kontakt miteinander ist. Und Finsterworld ist ein kritischer, aber auch ein humoriger Film, der zum Teil sehr liebevoll mit den Eigenheiten der Deutschen umgeht.
Im Film gehen die Figuren unterschiedlich mit ihrer Haltung zu Deutschland um. Die Sandbergs kritisieren von der Verkehrspolitik über Architektur alles, was deutsch ist und reisen lieber in der Welt herum. Tom flüchtet sich in eine Parallelwelt. Der Einsiedler hat sich komplett von der Gesellschaft abgekapselt. Ist das Flüchten in eine eigene Welt das einzige Mittel, um sich im Leben zurecht zu finden?
Da kann ich jetzt nicht für alle sprechen. Das lässt der Film ja auch offen. Die Flucht ist auf jeden Fall eine Lösung, die vielleicht zulässt, dass man sich eine gewisse Naivität oder ein embryonales Wohlfühlgefühl bewahrt in einer sehr harten Gesellschaft.
Warum versuchen die Figuren nicht, etwas an ihrer Umwelt zu ändern?
Wir wissen ja nicht, ob sie das tun, da wir nur einen Tag mit ihnen erleben. Aber ich glaube, dass das relativ real ist, da die wenigsten Menschen sich über ihren eigenen Kosmos hinaus engagieren. Auf der anderen Seite ändern die Filmfiguren im Kleinen schon sehr viel. Zum Beispiel der Fußpfleger Claude, der zwar seine perverse Obsession mit Füßen hat, aber sich im Grunde genommen um diese alte Dame kümmert. Da geht es um Liebe und Zwischenmenschlichkeit.
Wie verlief der Schreibprozess mit Christian Kracht?
Wir haben nicht die gängige Literatur, wie man ein Drehbuch schreibt, gelesen und nicht versucht, mit dem Kopf zu schreiben. Es kam sozusagen aus einem heraus. Ganz viel ist aus Träumen und Albträumen entstanden. Aus ihnen hat sich das Buch entwickelt. Außerdem haben wir versucht, Dialoge zu schreiben, bei denen immer unter der Oberfläche ein Subtext liegt. Wenn zum Beispiel Sandra Hüller und Ronald Zehrfeld über Tiere in Afrika sprechen, wollen sie dem anderen eigentlich sagen, dass er sich nicht für einen interessiert. Irgendwann haben Christian und ich auch wie die Figuren miteinander gesprochen und das dann aufgeschrieben. So sind eigentlich die meisten Dialoge entstanden – also wirklich im Dialog miteinander.
Am Ende des Films werden die sympathischen Figuren wie der Geschichtslehrer, der Einsiedler oder Dominik entweder verhaftet oder sie sterben, während die Lügner und Denunzianten davonkommen.
Ganz so ist es ja nicht. Der Lehrer und der Einsiedler sind natürlich Figuren, die unschuldig schuldig geworden sind. Das ist ein klassisches Thema, auch in der Literatur. Aber Fußpfleger Claude wird ja zum Beispiel am Ende belohnt. Man ist gewöhnt, dass in Filmen das Böse am Ende eigentlich immer verliert und das Gute siegt. Das führt aber auch dazu, dass man sich als Zuschauer zurück lehnen kann und nicht mehr nachdenken muss. Das ist natürlich vollkommen in Ordnung. Aber ich wollte einen Film machen, der ein bisschen offener und der ein Angebot ist, länger darüber nachzudenken, wenn er vorbei ist.
Welche Szene des Films ist für Sie in diesem Zusammenhang besonders wichtig?
Für mich ist das die Szene, in der Natalie auf das Hockeyfeld rennt, um Maximilian zu umarmen. Das Opfer wendet sich dem Täter zu. Das ist unerträglich und man will Natalie im Film lieber als Heldin sehen. Das ist zwar sehr unbefriedigend, entspricht aber auch der Realität, in der nicht immer die Guten siegen und die Bösen bestraft werden.
Die warmen, sonnigen Landschaftsbilder, die Kostüme und die Musik stehen in starkem Kontrast zum Verhalten der Figuren, die nicht mehr in der Lage sind, sich zu berühren oder liebevoll miteinander umzugehen. War dieser Gegensatz von Anfang an so angelegt?
Ich bin dem Kameramann Markus Förderer sehr dankbar, da er den Ansatz hat, Filme zu machen, die beim Anschauen Spaß machen sollen. Wir haben deshalb Bilder und Kostüme kreiert, die das erfüllen, so dass der Film, der ernste Themen behandelt, nicht auch noch trist anzuschauen ist. Ich wollte unbedingt diesen Bruch zwischen dem Komischen und dem Schrecklichen haben, weil man ein Spannungsfeld aufbaut. Das führt auch in der ersten Hälfte des Films dazu, dass sich der Zuschauer amüsiert.
Wie sind Sie an all die großen Darsteller gekommen?
Da muss ich Simone Bär danken, die das Casting für den Film gemacht hat. Wenn sich jemand wie sie in ein Drehbuch verliebt, dann hat man einen Zugang zu gewissen Schauspielern. Ich habe ja noch nie einen langen Spielfilm gemacht, mit dem ich die Leute hätte überzeugen können. Auf der anderen Seite war es auch das Drehbuch, das für die Schauspieler der Grund war mitzumachen. Das Buch ist einfach ungewöhnlich, und es macht Schauspielern Spaß, mal speziellere Rollen zu spielen.
Mich erinnert das Thema des Films auch an Popliteratur. Die Figuren sind perspektiv- und ziellos, entspringen einer dandyhaften, vermögenden Oberschicht, es geht um Konsum und Werbung. Ist Ihr Film an die Popliteratur angelegt?
Ich kann nur sagen, dass ich riesiger Comic-Fan bin, und bei meiner Arbeit an dem Film habe ich mich an Comics orientiert. Das ist Teil der populären Kultur.
Welche Projekte planen Sie als nächstes?
Es ist ein kleineres und größeres Projekt, alles noch nicht spruchreif. Aber es wird wieder einen Spielfilm geben.
Frauke Finsterwalder (c) Christian Kracht