Ausgerechnet Christian Petzold hat einen Münchner Polizeiruf geschrieben und inszeniert. Es geht um Klischees, Liebe und die Wärme durch Leidenschaft.
Mädchen, die durch Berlin-Mitte geistern. Eine Frau, die Fahrrad fährt. Ein Mann, der an einer Kreuzung aussteigt. Jenseits von aller Erzählung bleiben diese Bilder im Auge des Betrachters, lange Zeit später. Gespenster, Barbara, Die innere Sicherheit – in jedem Bild ist die ganze Geschichte enthalten. Mit dieser strengen Erzählästhetik wird Christian Petzold der so genannten Berliner Schule zugerechnet. Sein 13. Film ist nun also eine Produktion für das Bayerische Fernsehen, gedreht in München: Polizeiruf 110 – Kreise. Übrigens das erste Mal, dass er hier gedreht hat.
Besonders erstaunlich ist das nicht. Schon immer haben die BR-Redakteure des Tatorts und des Polizeirufs experimentiert und auch schonmal mit Sehgewohnheiten gebrochen. Man denke nur an Der oide Depp (2008, Drehbuch: Alexander Adolph, Regie: Michael Gutmann), der revolutionärerweise einen beachtlichen Anteil an Schwarz-Weiß-Szenen enthielt. Oder Klick gemacht (2009, Drehbuch: Christian Jeltsch, Regie: Stephan Wagner), in dem einer der Protagonisten den ganzen Film über auf einer vermeintlichen Mine steht. Oder Er sollte tot (2006, Drehbuch: Rolf Basedow, Regie: Dominik Graf), ein Kammerspiel. Oder Denn sie wissen nicht, was sie tun (Drehbuch: Christian Jeltsch, Regie: Hans Steinbichler), der nicht am Sonntag in der Primetime ausgestrahlt werden durfte, sondern am Freitag um 22 Uhr.
Außerdem hat Christian Petzold schon oft mit dem BR zusammengearbeitet. Der BR war Koproduzent bei Gespenster (2005), Jerichow (2009), Dreileben – Etwas Besseres als derTod (2011) und Phoenix (2014). Bettina Reitz, heute Fernsehdirektorin des BR, war schon in den Jahren 1998 (als ZDF-Redakteurin), 2001 und 2003 (als Produzentin) an Petzolds Filmen beteiligt. Aber in München zu drehen, das war etwas Neues. Obwohl Petzolds Geschichten nicht gebunden wirken an den Ort, an dem sie spielen, sind sie es doch. Es ist aber mehr eine Stimmung, die er transportieren möchte. Die Atmosphäre des Ortes. „Es gibt eine Einsamkeit in München, die eine andere ist, als die in Berlin“, sagt Petzold. „So eine Satellitenstadt-Olympiadorf-Hochhauseinsamkeit.“ Diese hat er nicht abgelichtet. „Aber sie ist die Grundlage für ein Gefühl.“ Einsam ist auch der Kommissar. Mehr noch. „Ein Kommissar ist der einsamste Mensch der Welt. Er nimmt an den Leidenschaften und Abgründen der anderen teil. Er wärmt sich vielleicht daran. Aber er kann nicht Teil davon sein“, sagt Petzold.
Allein ermittelt Kriminalhauptkommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) nicht; in diesem Fall arbeitet er mit seiner Hamburger Kollegin Constanze Herrmann (Barbara Auer) zusammen. Es geht eben auch um Liebe in Zeiten der Einsamkeit. Und was sie mit Barhockern zu tun hat. Mit denen handelte nämlich das Mordopfer, eine Frau, die auf Gaststättenmöbel spezialisiert war, verhasst war, bankrott war, verwitwet war, unglücklich verheiratet war, geschieden war. Ihr Ex-Ehemann Peter-Michael Breuer (Justus von Dohnányi) hat eine Modell-Eisenbahn. Und so gerät das Gespräch zwischen ihm und dem Kommissar zu einer Philosophie der Verbindungen. Denn der Verdächtige hat die Gleise ungewöhnlich angeordnet: nicht im Kreis. Absichtlich. Immer fahre ein Zug durch dieselbe Welt, nichts ändere sich. In dieser Welt würden nur Klischees abgebildet. „Methaphorisch: Es geht um Menschen, die ihre Kreise verlassen“, sagt Petzold.
So wie er selbst. Mit dem Polizeiruf begibt er sich auf neues Terrain. Zuvor hat er den Kinofilm Phoenix inszeniert. Da stand er unter „Originalitätsdruck“, wie bei jedem Kinofilm. Andersbeim Polizeiruf, da sei er „begrenzt“ gewesen: feste Slotzeit, Primetime im Ersten um 20:15 Uhr. Eine bestimmte finanzielle Ausstattung, für ihn geringer als bisher. Eine gewisse, kurze Zeit, den Film zu machen. „Ich bin ein Anhänger der Begrenzungen. Wenn Menschen begrenzt sind, werden sie kreativ.“ Und so war die Erschaffung und Inszenierung des Polizeirufs ein „unfassbar konzentrierter Spaß“. Das lag auch an der Produktionsfirma – Claussen+Wöbke+Putz –, die er „fantastisch“ fand.
Gefragt hatte ihn vor eineinhalb Jahren Redakteurin Cornelia Ackers auf der Berlinale, ob er bereit wäre für einen Münchner Polizeiruf. Dann bearbeitete ihn noch seine Frau, ein Fan der Reihe, besonders der von Dominik Graf inszenierten Folgen mit Matthias Brandt. 48 Stunden später sagte Christian Petzold zu. Das Genre des Krimis war ihm vertraut – er schreibt manchmal für sich selber Kriminalromane. Sein Vorbild ist Georges Simenon, dessen Plot immer ganz klein ist, die Abgründe jedoch unfassbar tief. Übrigens auch ein Merkmal, das der Erzählweise der Berliner Schule attestiert wird: wie große Themen aufs Individuelle heruntergebrochen werden.
Das Individuelle, angesiedelt hat es Petzold also in diesem Film in München. Es geht um eine kleine Fabrik, eine Familiengenealogie, eine Villa – das Grünwald der 70er Jahre hat er da vor Augen. Es gebe einen Reichtum, der Stil haben wolle, Grandezza, aber er habe ihn nicht. In diesem Zwiespalt entstünden manchmal Verbrechen.
Gearbeitet hat Petzold mit dem Mann, der nahezu alle seine Filme fotografiert hat und der Frau, die alle seine Filme geschnitten hat: Kameramm Hans Fromm und Cutterin Bettina Böhler, die auch für den Schnitt von Angela Schanelecs Nachmittag verantwortlich war – einem Paradebeispiel der Berliner Schule. Sieht München nun in diesem Polizeiruf aus wie Berlin? Die formale Strenge herrscht jedenfalls auch hier. In einer relativ langen Szene diskutieren die beiden Kommissare im Auto, ob sie sich im Wald verfahren haben. Die Verhörszenen gleichen einem antastenden Kennenlernen, so behutsam und still. Überhaupt findet die Stille zwischen den Wörtern hier ihren Platz. Als sei in dieser Leerstelle die Liebe in Zeiten der Einsamkeit zuhause. Gedanken werden sichtbar. Nein, weder sind Sehenswürdigkeiten zu sehen, noch Dialekte zu hören. Welche Rolle spielt also München in diesem Münchner Polizeiruf? Die Stabilität des Kreises, die den Ausbruch aus dem selben so deutlich macht. Das Schlimme an Klischees, sagt der Kommissar in dieser Folge, sei, dass sie ja so oft stimmten.
Ein Mann, eine Frau, zwei Kommissare, die im Auto durch ein Waldgebiet fahren. Diese Bilder werden noch lange im Auge des Betrachters bleiben.
Der Polizeiruf 110: Kreise wird am Sonntag, 28. Juni 2015 um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
Foto: Matthias Brandt, Christian Petzold und Justus von Dohnányi während der Dreharbeiten am Set in München.