Welt verlieren, Welt fürchten – FFF-geförderte Filme auf der Berlinale

Elser (c) Lucky Bird Pictures, Bernd Schuller  (6)

Fünf FFF-geförderte Filme laufen in verschiedenen Reihen der 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin (5. bis 15. Februar 2015). Sie zeigen die Vielfalt und Lebendigkeit des bayerischen Filmschaffens. Ein Überblick.

Text: Olga Havenetidis

Elser
Produktion: Lucky Bird Pictures in Koproduktion mit SWR, ARD Degeto,
BR, WDR, ARTE, Delphi Medien und Philipp filmproduction
Regie: Oliver Hirschbiegel
Wettbewerb – Out of Competition
Der FFF Bayern hat die Produktion von Elser mit 800.000 Euro gefördert.

Zwei Jahre haben die Autoren Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer recherchiert über den jungen Schwaben, dessen Attentat auf Hitler 1939 im Münchner Bürgerbräukeller scheiterte – 13 Minuten, bevor die Bombe detonierte, verließ Hitler den Raum. Elser flüchtete, wurde in der Schweiz gefasst, kam ins Konzentrationslager und wurde am 8. April 1945 ermordet. Das Drehbuch inszeniert hat Oliver Hirschbiegel, der zum ersten Mal seit 2005 wieder bei einer deutschen Produktion Regie führte. „Bei so einem Mammut-Projekt zweifelst du immer wieder, ob du auf dem richtigen Weg bist“, sagt Produzent Oliver Schündler. „Und dann schickst du dieses Drehbuch an Oliver Hirschbiegel, der nach eigenen Angaben Dutzende und Aberdutzende von Büchern zugesandt bekommt und der im vergangenen Jahrzehnt alle Angebote aus Deutschland abgelehnt hat – und vier Tage später sitzt er dir gegenüber, grinst dich an und fragt: ,Also, machen wir nun diesen Film, oder machen wir ihn nicht?‘ Er mochte das Drehbuch ohne Wenn und Aber!“

Hirschbiegel begreift Elser als „eine Art frühen Hippie“, der die Welt beinah verändert hätte, und seinen Film als „weiteren Mosaikstein eines breiter gefassten Psychogramms des ‚Dritten Reiches‘ “, wie die Historikerin und Autorin Verena Weidenbach in der FilmNewsBayern schrieb. Anders als Klaus Maria Brandauer in seinem Film Georg Elser – Einer aus Deutschland wollten die beiden Drehbuchautoren ihren Schwerpunkt nicht auf das eigentliche Attentat legen, sondern auf Elsers Weg dorthin: „Uns hat vor allem beeindruckt, dass ein derart einfacher Mann aus dem Volk im Vergleich zu den Offizieren um Graf Stauffenberg schon so früh auf die Idee
kam, einen Anschlag auf den damals mächtigsten Mann der Welt zu verüben. Wir haben uns gefragt: Wie kam es dazu? Wie tickt jemand, der so etwas macht?“ Offenbar war Elser auch sehr freiheitsliebend – dies zeigt die Beziehung zu seiner Geliebten Elsa, die verheiratet war. Zeitweise wohnte er sogar mit dem Ehepaar zusammen. Für Produzent Boris Ausserer ist die Liebesbeziehung zwischen Elsa und Elser ein Geschenk: „Oft wird einem Film noch eine überflüssige Liebesgeschichte aufgepfropft, die es gar nicht gab. Hier aber entspricht sie nicht nur der Wahrheit, sondern erzählt auch Entscheidendes über Elsers Charakter“.

Gedreht wurde letzten Sommer in Berlin, Südtirol, im oberfränkischen Weidenberg und in der Nähe von Lindau – mit einem beeindruckenden Cast: Christian Friedel, bekannt aus Das weiße Band, spielt Elser, seine Geliebte Elsa wird von Katharina Schüttler dargestellt. Die weiteren Rollen haben Burghart Klaußner, Johann von Bülow, David Zimmerschied, Felix Eitner, Rüdiger Klink, Cornelia Köndgen und Martin Maria Abram übernommen. Fotografiert hat das Drama die preisgekrönte Kamerafrau Judith Kaufmann.

Die abhandene Welt
Produktion: Clasart Film- und Fernsehproduktion,
Tele München
Regie: Margarethe von Trotta
Berlinale Special
Mit 450.000 Euro hat der FFF Bayern die Produktion von „Die abhandene Welt“ unterstützt.

Nachdem sich ihre letzten beiden Filme historischen Figuren gewidmet haben (Hildegard
von Bingen, Hannah Arendt), erzählt Margarethe von Trotta in ihrem neuen Werk eine Schwesterngeschichte: Ein Mann entdeckt im Internet das Foto einer Opernsängerin, die in New York lebt und seiner verstorbenen Frau ähnelt. Darau_in macht sich seine Tochter, selbst Jazzsängerin, auf den Weg nach New York, um die Frau kennenzulernen. Mit diesem Film begibt sich die preisgekrönte Regisseurin und Autorin, die seit vierzig Jahren Filme macht, darunter viele politische und historische, wieder in ihre eigene Biographie, erfuhr sie doch selbst erst im Erwachsenenalter von einer Schwester. Wobei das Schwesternmotiv auch die nichtbiographischen Filme von Trottas durchzieht, wie zum Beispiel in „Die bleierne Zeit“.

Die Hauptrollen in „Die abhandene Welt“ spielen drei Darsteller, mit denen sie schon mehrfach gearbeitet hat: Barbara Sukowa, Katja Riemann und Matthias Habich. An einer Stelle singt Barbara Sukowa ein Lieblingslied von Margarethe von Trotta, Ich bin der Welt abhanden gekommen, ein von Gustav Mahler vertonter Text Friedrich Rückerts. Darin geht es um ein Geheimnis, das der Erzähler vor der Welt verbirgt. Ein Geheimnis war es auch, mit dem von Trotta aufwuchs und das möglicherweise nur durch ihre Berühmtheit gelüftet wurde – denn sie erfuhr erst von ihrer Schwester, als diese durch einen Dokumentarfilm über Margarethe von Trotta auf sie aufmerksam wurde. Die Berühmtheit als Möglichkeit des Gefundenwerdenkönnens, als günstige Voraussetzung des Serendipity-Prinzips – dies könnte auch das Thema von „Die abhandene Welt“ sein, denn auch hier ist die gefundene Person eine berühmte, über die berichtet wird.
Gedreht hat die Produktion den Spielfilm in NRW, München und New York im letzten
Frühjahr. Zwischendurch hat Margarethe von Trotta noch den Prix France Culture
Cinema 2014 bei den Filmfestspielen in Cannes abgeholt. Die Kamera führte Axel Block,
Bettina Böhler war für den Schnitt verantwortlich.

Was heißt hier Ende?
Der Filmkritiker Michael Althen
Produktion: Preview Production
Regie: Dominik Graf
Internationales Forum
Mit 25.000 Euro hat der FFF Bayern die Produktion des Dokumentarfilms gefördert.

Mit Michael Althen haben Sie im Jahr 2000 „München – Geheimnisse einer Stadt“
und 1998 „Denk ich an Deutschland“ gedreht. Was bedeuten Ihnen diese beiden Filme in Ihrem gesamten Filmschaffen?

Dominik Graf: Beide Filme waren für mich ein Ausbruch in etwas bis dahin Neues- Essayfilme machen, Assoziationen freien Lauf lassen über ein persönliches Thema. Gefühle, Reaektionen, einmal zu meinem Vater, einmal zu meiner Heimatstadt. Michael hat mir gezeigt, wie man solche Filme angehen kann.

Ihr Dokumentarfilm möchte sich Michael Althen „filmisch annähern“. Wie machen Sie das?

Wir versuchen, ein paar seiner Kommentare, Kritiken, Nachrufe quasi zu verfilmen, die Texte in ihrer Sinnlichkeit vielleicht noch zu unterstützen.Und ich versuche, mich auf der Reise durch seine Biographie den Kräften, den Inspirationspunkten anzunähern, die ihn bei seinem
besonderen Schreiben und Empfinden mobilisiert haben. Welche Zeitgenossen kommen im
Film zu Wort? Journalistenkollegen und Freunde wie Claudius Seidl, Wolfgang Höbel, Wolfgang
Lebert, Peter Körte, Hans Helmut Prinzler, Regisseure wie Christian Petzold, Wim Wenders, Romuald Kamarkar, Familie …

Wie hat sich die deutsche Filmkritik seit dem Tod von Michael Althen Ihrer
Meinung nach verändert?

Auch das versucht der Film zu thematisieren. Filmkritiken lesen ist heute kaum noch ein ästhetisches Erleben- bei Althen waren die Texte vergleichbar mit dem Sehen der Filme selbst. Nur 3 einhalb Jahre nach seinem Tod ist die deutsche Zeitungs-Filmkritik nur noch Leserservice, Inhaltsangabe, Daumen hoch oder runter. Unter dieser gnadenlosen Effizienz-Entwicklung leidet letztlich ja nicht nur die Filmkritik sondern es leidet mental auch der ganze deutsche Film. Die Filme verlieren großteils ihre ästhetischen Eigenheiten und werden stattdessen immer mehr zu nützlichen Idioten für das System, das sie hervorbringt.

Dominik Grafs Dokumentarfilm begibt sich auf die Suche nach Spuren, Splittern und
Spiegelungen des Schaffens von Michael Althen. Der Filmkritiker hat mit offenen Sinnen
Filme gesehen und sich liebend gern von ihnen verführen lassen. Umgekehrt wiederum
hatten seine Texte, seine Sprache, all die Begegnungen mit ihm, großen Einfluss auf andere – auf Kritiker, Filmemacher und Kinogänger gleichermaßen, darunter sicherlich Tom Tykwer, Christian Petzold, Stephan Lebert, Romuald Karmakar, Doris Kuhn oder Claudius Seidl. Auch internationale, lange vor Althens Schreiben schon etablierte deutsche Film-Größen wie Eichinger und Wenders, haben sich für seinen Blick auf ihre eigenen Werke interessiert, den Austausch mit ihm gesucht. Diesen Wechselwirkungen zwischen einem einzigartigem Kritiker und der Branche spürt dieser Filmessay nach und erforscht, welchen Niederschlag Michael Althens Blick in der deutschen Filmlandschaft gefunden hat. Gleichzeitig verstehen die Macher den Film auch als einzigartige Liebeserklärung an das Kino – denn so gekonnt wie Althen habe es niemand sonst hierzulande verstanden, die Magie des Films ins Leben zu übertragen. Persönliche Erinnerungsexpeditionen– verwoben mit Textzitaten, Fotografien und Filmausschnitten – stellen immer wieder die Verbindung zu zeitgenössischen Kulturschaffenden her, deren Leben und Arbeiten durch Althen bereichert wurde.

Produzent Joachim Schroeder hat Dominik Graf, selbst ein enger Freund von Michael
Althen, der mit diesem auch zwei Filme realisiert hatte, für dieses Projekt gewonnen.
Und Dominik Graf wirft einen ganz persönlichen Blick auf seinen Freund. Das Filmmaterial
hierzu entsteht in persönlichen Gesprächen, resultiert aus miniaturhaften Videonotizen oder ergibt sich aus Archiv-Fundstücken. Am Ende entsteht ein nuancenreicher und vielschichtiger Reigen, der Erkenntnisse darüber liefern wird, was Kino überhaupt sein könnte, wie wenig Michael Althen ausgetretenen Rezeptionspfaden folgte, welche Freiheiten in Produktion und Rezeption in Deutschland prinzipiell möglich wären – und wie viele Menschen Althen über die
Jahrzehnte anregte und prägte.

Sibylle
Produktion: Passanten
Filmproduktion in Koproduktion
mit BR und Zusammenarbeit
mit HFF München
Regie: Michael Krummenacher
Perspektive Deutsches Kino
„Sibylle“ wurde im Nachwuchsbereich des FFF Bayern mit 50.000 Euro gefördert.

Es gibt im Universum von Harry Potter ein Zauberinstrument, das mit der Rezeption von Sibylle vergleichbar ist: Das Denkarium. Ebenso wie wir in dieses hineingezogen werden und die Erinnerungen und Gedanken anderer betrachten, zieht uns Michael Krummenacher in seinem HFF-Abschlussfilm in das Denken einer Frau. Ob sie psychisch krank ist, ob nur sie die Wahrheit sieht – müßige Fragen, um die es nicht geht. Vielmehr geht es um die Entfremdung von der Welt. Anfang und Ende der Geschichte berühren sich, nur wer aufmerksam sieht und vor allem hört – eine besondere Herausforderung für den modernen Zuschauer – wird feststellen, dass die Handlung nicht im Kreislauf gefangen ist, sondern einen Ausweg bietet als Ausdruck der Hoffnung. Es geht um eine Frau, bisher erfolgreiche Architektin und liebende Mutter und Ehefrau, deren Welt ins Wanken gerät – unter anderem erahnt sie schlimme Dinge, die ihr dann widerfahren. Der Name „Sibylle“ war eine Vision der Autoren, die Schreibweise ein Glücksfall, lehnt sie sich doch an diejenigen der Seherinnen aus der griechischen Mythologie an. Gemeinsam mit Silvia Wolkan entwickelte Krummenacher den Stoff, den er im Genre des Horrorfilms inszenierte. Damit schuf er eine Möglichkeit, „die Entfremdung von der Welt“ zu gestalten. „Das Genre ist für mich ein Werkzeugkasten, den ich nutze, um Zustände auszudrücken“, sagt er. Dass er einen Film über eine Frau gemacht hat, sieht er als Mechanismus, nicht über sich selbst zu erzählen. In der Intensität ähnelt Sibylle den Filmen der 70er Jahre, die tatsächlich zu den Vorbildern des Teams gehören. Die frühen Polanski-Filme, „Suspiria“ von Dario Argento und Fassbinders „Angst vor der Angst“ haben die jungen Filmemacher inspiriert.

Gefunden haben sie sich an der HFF München, Gwendolin Stolz studiert zwar Regie, hat aber den Film in Zusammenarbeit mit der Passanten Filmproduktion und der Producerin Veronika Neuer produziert. Anne Ratte Polle spielt Sibylle, und ebenso wie damals in Karmakers Theaterverfilmung „Die Nacht singt ihre Lieder“, die im Wettbewerb der Berlinale lief, berührt sie mit ihrer eindringlichen Darstellung. Gleich drei Studenten machen mit „Sibylle“ ihren Abschluss: Michael Krummenacher als Regisseur, Silvia Wolkan als Drehbuchautorin und Jakob
Wiessner als Kameramann. Ein Team, das harmonisch wirkt, aber einen so beunruhigenden
Film gemacht hat, der einen lange nicht in Ruhe lässt.

I Remember
Produktion: Trimaphilm in Koproduktion
mit HFF München
Regie: Janna Ji Wonders
Perspektive Deutsches Kino

Mit 46.000 Euro hat der FFF „I Remember“ im Bereich Nachwuchs unterstützt.

Auch Janna Ji Wonders hat gerade ihr Diplom an der HFF München gemacht. Inspiriert für den Film hat sie der gleichnamige Song des Singer-Songwriters Boo Hewerdine. Erzählt wird die Geschichte der beiden 17jährigen Jungen Josh und Ben, die wie jedes Jahr ihre Ferien am Meer verbringen. Als die mysteriöse Elena (30) in das Nachbarhaus einzieht, verlieben sich beide Jungen in sie. Eine Kette von Gefühlsverwirrungen beginnt; in deren Verlauf setzen Josh und Ben zunehmend ihre Freundschaft aufs Spiel. Am Ende bleibt Josh als einziger Zeuge dieses bewegenden Sommers zurück. Janna Ji Wonders, selbst Musikerin, fühlte sich von der Stimmung in Hewerdines Song angesprochen. Sie wollte aber die Kurzgeschichte nicht detailgetreu adaptieren, sondern eine eigene Interpretation schauen. „Ich wollte einen sehr ruhigen und atmosphärischen Film machen“, sagt sie. „Das Hauptthema sollte ein Verlust- und Verlassenheitsgefühl und das Abschiednehmen darstellen, das ich bei dem Jungen am Ende zeige.“ Wonders hat selbst auch drei Stücke mit dem Gitarristen ihrer Band YA-Ha! eingespielt. Gedreht hat sie in Bolinas, einem Ort in Kalifornien, an dem Janna Ji Wonders aufgewachsen ist. „Beim Lesen der Kurzgeschichte hatte ich sofort meine Jugend vor Augen, die ich in Bolinas bei
meinem amerikanischen Vater verbracht habe“. Der Ort sei interessant, weil die Bewohner
selten Besucher oder Touristen dulden, weshalb sie auch die Ortsschilder abschrauben:
„Es ist sehr schwer, Bolinas zu finden“. Nur weil sie die Regisseurin kannten, haben sich
die Bewohner dann doch für die Filmcrew geöffnet – einige haben sogar spontan
mitgespielt.

Das Interview mit Janna Ji Wonders zu ihrem Film gibt es hier.

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